Erste Geburtstage sind skurril. Das Geburtstagskind hat keinen Plan, was passiert, bekommt nichts vom Kuchen ab, und spielt lieber mit Verpackungen als mit Geschenken. Wir entschlossen uns deshalb für ein minimalistisches Event – auf einen Kaffee daheim mit den Großeltern. Vielleicht noch ein kleines Spanferkelchen dazu. Und ein Flugzeug, das eine Glückwunschbotschaft in den Himmel schreibt. Und ein Geburtstagsbrief von der Queen von England. Aber mehr nicht.
Zum ersten Geburtstag unseres Sohns nur auf einen Kaffee daheim treffen? Das war freilich Unsinn, denn so einen Bombenseptember 2018 mit so einem Kaiserwetter musste man nutzen. Wir verlegten das Kaffeetrinken in den Park nebenan. Dort befand sich ein kuschliges kinderfreundliches Café — ideal für unseren Zweck, und so unkompliziert.
Zwei Wochen vor Termin geriet Frau 8BitPapa aber ins Grübeln und notierte sich, einen Er-wird-nur-ein-Mal-ein-Jahr-alt-Schokoladengeburtstagskuchen zu backen, für den Verzehr vor Ort. In Bayern, 8BitPapas Geburtsbundesland, wäre das kein Problem gewesen. Dort installierte der Imperator vor 2.000 Jahren für diesen Zweck schattige Tummelplätze, sogenannte Biergärten®. Da bestellt man Kaffee (Bier) vom Personal, bringt die Vesper aber selbst mit, ganz legal. Tolle Sache, gibt’s in Berlin aber sehr selten. Nicht, weil es an (a) Bier oder (b) Gärten mangelt. Sondern weil derart attraktive Gastro-Locations im Handumdrehen von Touristen belagert werden würden, der Bier- und Kaffeepreis ums Fünffache stiege und der Typ am Eingang nur Menschen mit geflochtenen Vollbärten oder Miniröcken hineinließe.
Der gemeine Berliner verlegt deshalb Events, die einen schattigen Platz zum Tummeln erfordern, in einen dem Wohn- oder Arbeitsort am nächsten gelegenen Park und holte sich die Getränke vom Späti oder der Tanke nebenan. Genau das wurde unser neuer Plan, denn when in Berlin, do as the Berliners do. Also planten wir das Kaffeetrinken und Kuchenessen im Parkgelände neben dem Café. Es sollte warm werden, eine Picknickdecke würde genügen. Ein paar Servietten und fertig war der Geburtstag,
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Eine Woche vor dem Termin belauschte ich jedoch dieses Gespräch zwischen Frau 8BitPapa und ihrer Mutter:
»Da habt ihr aber eine nette Idee. Dann können wir doch auch die Uroma mitbringen?«
»Das wäre schön, Mutti. Aber sie kann doch nicht auf dem Boden sitzen.«
»Sie sitzt doch auf ihrem Rollator.«
»Und dann sitzt sie wie die Queen von England einsam auf ihrem Thron und wir alle am Boden um sie herum. Ich weiß nicht.«
»Hm. Na dann bringen wir eben noch ein paar Campingstühle mit?«
»Hm. Ja, das ist… das ist eine gute Idee. Wir haben ja auch noch zwei.«
Ich machte mir eine Notiz: Queen von England. Konnte man nicht personalisierte Geburtstagsbriefe von ihr bestellen? Wie sagte man so schön bei den Sopranos, jeder Mensch hat seinen Preis. Ich holte die Campingstühle aus dem Keller und platzierte sie neben die Tasche mit der Picknickdecke. Eine Stunde später folgte die Fortsetzung des mütterlichen Planungskomitees.
»Was machst du für einen Kuchen? Schoko? Aber nicht jeder mag das so süß. Und wir sind ja, ihr, wir, die Eltern von 8BitPapa, der Kleine und Uroma… zu Siebteinhalbt. Weißt du was? Ich bringe einfach noch einen Apfelkuchen mit.«
»Mutti, das wird aber eng auf der Decke. Und die Ameisen.«
»Ach weißt du was, dann bringen wir einfach noch einen Campingtisch mit.«
»Hm. Ja, warum nicht. Das ist ja gleich viel bequemer. «
»Und Kuchengabeln und Kaffeepötte.« warf ich ein. Mehr brauchte man nicht für ein bequemes Picknick im Park.
Später am Abend hielt mir Frau 8BitPapa das Tablet vor die Nase. »Wie findest du die?« Ich erkannte Tischsets mit Papptellern und Servietten im rosafarbenen Einhorn- und Prinzessinen-Look. Super! Und ein Gendering-Statement noch dazu. Klick. Gekauft. Lieferung übermorgen früh. Damit war unser Aufwandslevel für die Geburtstagsfeier nun wirklich erreicht. Doch der »Kunden, die dies gekauft haben, kauften auch das«-Strudel sog uns in seinen Bann.
»Haben wir eigentlich irgendwelche Deko? Irgendwas zum Aufhängen?«
»Noch nicht.«
Ich onlineshoppte »Solar-LED mit bunten Lampenschirmchen« und bestellte die drei beliebtesten Produkte. Denn das war ja eine neue Bstellung und ich musste mindestens 30 Euro erreichen, um nicht extra für Porto und Verpackung zu zahlen. Im Crossselling-Kasten empfahl man mir noch Geburtstags-Luftballons. Tolle Idee. Ich warf noch eine 400-Liter-Heliumgasflasche in den Warenkorb, denn am Boden herumliegende Ballons kann ja jeder.
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Zwei Tag vor dem Geburtstag, ich war gerade dabei, einen Bollerwagen für den Transport zu mieten, meldete sich nochmal die Uroma, sie wolle ebenfalls zur Vesper beitragen. Was soll ich sagen – Käsekuchen ist mein liebster, da kann ich nicht Nein sagen. Gleich darauf lud Frau 8BitPapa zur aktuellen Bestandsaufnahme ein.
»Jetzt wo wir drei Kuchen, Muffins, Cupcakes, selbstgemachte Croissants und ein Dutzend Minitörtchen haben, könnten wir dann nicht auch Onkel Gildo, Uropa Heinz, die Tanten Karin, Helga und Bea einladen?«
»Aber klar, wer soll das sonst alles essen?«
»Mit Anhang natürlich.«
»Natürlich.«
»Vielleicht schauen sogar noch die Kinder Stephan, Toni und Silke vorbei. Mit Anhang. Die kommen sicher nur ganz kurz, die Jungen bleiben ja nie so lange auf Familienfeiern.«
Ich bestellte schnell noch einen 5 20-Liter-Bierfass. Und reservierte einen Shuttle-Bus vom Hauptbahnhof zum Park. Neben meinen Eltern fiel mir väterlicherseits nur mein Onkel Oliver ein. Der würde es aber leider nicht mehr schaffen. Er wohnte 600 km südlicher und hatte bereits einen vollen Terminkalender, denn es war gerade mitten in der Jahreszeit für schattige bayerische Tummelplätze. Ich legte noch eine Handyhalterung und eine Powerbank in den nächsten Online-Warenkorb, damit wir wenigstens hangouten oder skypen konnten.
Notiz: Schön anziehen. Anzug?
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Die nächsten Zage vergingen ohne nennenswerte Anpassungen unseres Vorhabens, nur ein paar Ergänzungen. Am Tag vor dem Parkgeburtstag setzten wir uns ein letztes Mal zusammen, um den finalen Ablauf durchzusprechen.
»Onkel Gildos hat sich gemeldet. Er schlägt vor, seinen alten Dieselgenerator mitzubringen, dann könnten wir den Kaffee selber machen. Und er bringt ein paar Biergarnituren mit, weil die Stühle ja nun nicht mehr reichen. Und einen Pavillon.«
»Einen Pavillon?«
»Falls es regnet.«
»Falls es regnet? Gehen wir dann überhaupt in den Park?«
»Wie sollen denn alle in die Wohnung passen?«
»Ah ja ja ja, du hast recht. Ein Pavillon.«
Ich notierte: Chinesische Antiregenraketen recherchieren, Olympia 2008.
»Und ich habe noch eine kurzweilige Idee, um für etwas Unterhaltung zu sorgen. Wie wäre es mit einem Geburtstagsquiz?«
»So wie ein Pub-Quiz?« Ich nahm Frau 8BitPapas Hand. »Ach weißt du noch, damals.«
»Genau.« Frau 8BitPapa riss sich los und tigerte durchs Zimmer wie Onkel Dagobert in seiner Denkzelle. »Als Gewinne gibt’s seine alten Babysachen. Der erste Body, das erste Spucktuch, der erste Schnuller, die erste Stoffwindel. Ja, warum nicht eine volle? Nein, ein Witz. Wir füllen Sie mit Nudossi.«
»Und die Quizfragen?«
»Genau. Man muss raten, wie viel er wiegt, wie groß er ist, welches sein Lielingsspielzeug ist, und wie schnell er es erreicht, wenn man es 10 Meter weg legt.«
»Wir könnten ihn auch mit seinen Krabbelkommilitonen in eine kleine Arena setzen und einen einzelnen Schnuller reinwerfen und Wetten annehmen?«
»Witzig, Herr 8BitPapa, ha ha.«
Das Telefon klingelte. Ich hob ab unter der Annahme, das wären die letzten Rückfragen wegen der Hüpfburg für Erwachsene und der aufblasbaren Kletterwand. Stattdessen lauschte ich einer bekannten Stimme. »Jauch hier. Ich wollte Bescheid geben, das Thomas auch kommt. Morgen dann, im Park, um halb 3?« Ich nickte ins Telefon »Ja, um halb 3.« und legte auf.
»War das der Moderator? Gut. Danach gibts Kaffee und Kuchen. Und dann noch etwas Unterhaltung.«
»Ja, aber zum Entspannen. Etwas Ruhiges, zum Zuschauen.«
Notiz: Blue Man Group. Doch Frau 8BitPapa las mit. »Nein, die nicht. Die sind nicht mehr so gut wie früher. Außerdem hat sie inzwischen jeder gesehen.« Ich strich das Geschriebene durch und vermerkte Circque de Soleil. Und ich stutzte »Bringen die ihr eigenes Zelt mit? Braucht man da Absperrungen?« und notierte weiter: Security buchen. Valet-Parkfahrer buchen.
Wir verbrachten den Rest des Abends damit, die allerallerletzten Details zu klären und die Eltern aus unserer Kitagruppe einzuladen, damit das Geburtstagskind jemanden zum Spielen hatte. Und die PEKiP-Gruppe durften wir nicht vergessen. Und die Babyschwimmklasse. Und die Familien vom Babyyoga. Dann ergänzten wir einen Termin im Online-Familienkalender, zwei Wochen vor dem zweiten Geburtstag: Birthday-Planner engagieren. Und Catering. Zufrieden gingen wir Schlafen. Außer der Kleine, er war vermutlich zu aufgeregt wegen seines Geburtstags. Und so schlugen wir uns eine jener grauenhaften Nächte um die Ohren, bei denen an Ruhe nicht zu denken ist. Wie üblich in solchen Nächten drifteten wir erst gegen 6 Uhr in den Schlaf. Und dann der ganze Stress morgen?
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Am nächsten Morgen kam dann zum Glück alles anders. Ich wachte normal auf, um 6:30 Uhr, als sich das einjährige Geburtstagskind mit seinen 10 kg Lebendgewicht auf meinem Gesicht niederließ. Der Duft von Kackawindel und Frau 8BitPapas frischem Schokokuchen stieg mir in die Nase. Es war doch alles nur ein böser Traum gewesen. So wie in einem billigen Filmskript, dessen Autoren nach eineinhalb Stunden Movietime keine bessere Deus-ex-machina einfällt.
»Happy Birthday, kleiner Frosch!«
Vor Freude grinste er mit vier Zähnen und blies mit seinem Nasenrotz zwei riesige grüne Blasen.
Ich zog meine normalen Alltagsklamotten an, Jeans und Sweatshirt mit den üblichen Rotz- und Kotzflecken auf der linken Schulter. Ich stolperte über die Campingstühle und die Picknickdecke und Duplosteine im Flur, und öffnete verschlafen die Wohnungstür um die Zeitung zu holen, bis ich mich erinnerte, dass wir nicht in einem kleinen Häuschen im Vorort, sondern in einem Mietshaus in der obersten Etage wohnten.
Zwischen meinen Beinen kroch das 8BitPapa-Baby hervor und sagte »Da da!«. Denn etwas war anders als sonst. Ein roter Teppich zierte das Treppenhaus, mit Union-Jack-Konfetti darauf. Und die Treppen empor stieg die Queen von England. Sie zottelte einen Lieferschein unter ihrem Rock hervor.
»Art thou the famous 8BitPapa and doest thy baby knave celebrate his first birthday the present day?«
»Ehm. Yes yes indeed. Börsday, yes.«
»Then i shalt congratulate the tyke from myself and the entire sov’reign nation of Great Britain. I shalt announceth him knight of the queens table for putting up with all thy questionable parenting eff’rts.«
»Ehm. Sank you, Sank you.« Und, halleluja, das 8BitPapa-Baby sprach seinen ersten englischen Satz: »Äh Uh.«
Na, wenn das mal nicht der beste Start in den ersten Geburtstag war.
Die Queen fuhr fort »And thou, 8BitPapa, keepeth writing thy most wondrous blog, valorous sir. I doth read it ev’ry night and I loveth t. I shalt announceth thee knight of the queens table f’r all thy excellent stories.«
»You like my blog? Sank you, sank you. Readers like you make me happy writing.
Oh, you are going down, right? Can you take sis Beutel of Kackawindeln wis you to se trash?«
Na, wenn das mal kein spannendes erstes 8BitPapa-Jahr war.
Auf ein Neues.
Euer 8BitPapa