Eineinhalb Jahre konnten wir Schokolade aus dem Leben unseres Kleinen fernhalten. Denn inzwischen weiß jeder: Zucker ist der Teufel. Sogar zu Weihnachten haben wir es geschafft, den Schokokonsum auf einem Minimum zu halten. Wir schickten den Kleinen einfach ins Bett, wenn einer von uns einen Jieper bekam. Nur jetzt zu Ostern hatten wir keine Chance mehr.
Und dabei waren wir so gut und vorbildlich modern. Bloß kein Geheimnis oder gar eine Belohnung aus Süßkram machen. Die Keks- und Schokoschublade war für ihn frei zugänglich, auf Augen- und in Greifhöhe. Und selbstverständlich hielt er nach einer Wohnungsexpedition mal einen Keks in der Hand. Wir überspielten dann unsere Aufregung, ließen ihn essen und erklärten ruhig, dass er aber jetzt nur diesen einen bekommt, und das alles völlig normal sei und er keinen Verdacht hegen solle, da etwas Besonderes gefunden zu haben. Nur eine kennt er ja schon von den Gute-Nacht-Geschichten. Da klappt das so gut, dass er schon beim Zuklappen des Buchs munter vom Schoß springt und Richtung Bett läuft. Letztens fanden wir sogar eine halb verzehrte Schokokugel auf einem Beistelltischchen, als hätte er zwischendrin das Interesse verloren. An Schokolade!! Offensichtlich ging unser Plan auf.
Die größte Herausforderung war die Uroma. Die ist mit 90 Jahren putzmunter, trotz obligatorischer Kaffeekränzchen und unbändigem Pralinenkonsum. Mit ihr ist das ganz ähnlich wie mit Frank Sinatra, der sich von Zigarren und Whiskey ernähren konnte, Süßkram ist deshalb bei jedem unserer Besuche angerichtet. Und wenn gerade keine Schokolade auf dem Tischchen liegt, dann wendet man sich nur mal kurz ab, um dem Kleinen die Hose hochzuziehen oder den Rotz wegzuwischen, und ZACK, steht da schon wieder eine offene Packung Geleebananen. »Bei (Ur)Oma darf er schon mal«, heißt es dann. Wir kamen zum Schluss, es handle sich um eine Art Fütterinstinkt und schlugen Alternativen vor: Obst. Und wenn’s etwas Besonderes sein darf, dann gerne Beeren. Oder auch Nüsse. Ein bisschen Paleo-Diät für den Junior, warum nicht. Das klappte über viele Monate recht gut. Aber irgendwann, wahrscheinlich um die Weihnachtszeit, wir merkten es zunächst gar nicht, erhielten die Beeren und Nüsse einen Schokoladenüberzug. Sagten wir dann etwas dagegen, tat die liebe Uroma so, als hörte sie nicht richtig oder hatte es vergessen, wusste von keinem Schokoladenverbot (wie gesagt, putzmunterer geht nicht mehr). Also Süßkram wegnehmen, das Geweine anhören und schnell mit Spielen und Vorlesen ablenken. Irgendwie ging das schon.
Auch Frau 8BitPapa war in die Schokoladenhistorie des Junioren verstrickt. Sie unterschätzte immer wieder die Maximalgröße des Kinds. Fuhr es nämlich Zehen + Beine + Torso + Arme + Finger auf das Maximum aus, konnten Objekte erreicht werden, die eigentlich als »sicher in der Tischmitte abgestellt« klassifiziert waren: Weingläser, Scheren, Kuchenschüsseln, Tattoo-Nadeln und eben Schokoriegel (der Ausräumator lässt grüßen). Auch hier gab es eine pragmatische Lösung: Monat für Monat wurde der Abstand aller Objekte zur Tisch- oder Arbeitsflächenkante vergrößert. Als der Kleine lernte, Werkzeuge zu benutzen, versteckten wir Greifhilfen (Grillzangen, Gabeln) im Keller und entfernten sämtliche Möbelstücke, die als Kletterhilfe herhielten: Trittschemel, Pflanzenboards, Mülleimer, Nachtkästchen und Stühle. Jetzt kann man auch mal gedankenlos eine Tafel Schokolade oder einen Bolzenschneider liegen lassen. Falls der Kleine weiter wächst, verkaufen wir einfach die Tische. So weit, so gut.
Dann kam Ostern. Sein erstes Osterfest, zu dem der Junior nicht nur aufrecht und schnell laufend beliebige Ziele ansteuern konnte. Er war auch so niedlich geworden, dass man ihn am liebsten mit Schokolade überziehen und reinbeißen mochte (O‑Ton Mutter). Und für Großeltern ist das Schokoladeschenken so naheliegend, wie bei Regen einen Regenschirm zu öffnen. Was sollte man einem 18-Monatigen zu Ostern sonst mitbringen als Schokoladenosterhasen und Schokoladeneier, und kleine Miniaturschokoladenversionen von Alltagsgegenständen: Autos, Fußbälle, Handys, Bolzenschneider?
Das sollte nun gepaart werden mit einem Suchspiel im Park: Die nähere Familie mit drei Kindern im Osteralter traf sich zum Picknick auf der großen Wiese nebenan. Wir breiteten Picknick-Decken aus, platzierten Nahrungsmittel und Getränke darauf und beschäftigten die Kinder etwas abseits, so dass sie das Arrangement nicht wie Godzilla in Tokio zunichte traten. Dabei schickten wir sie regelmäßig zu den umliegenden Büschen (eigentlich Urinale), weil dort vorhin »der Osterhase vorbeigehoppelt war«. Er habe etwas für sie versteckt. Sie müssten sich nur durch Brennessel, Disteln und biotische Gefahren wie Zecken und Fuchsbandwürmer wühlen, um Zucker- und Schokoladensnacks vor Ameisen und anderen Insekten aufzudecken. Entdecker-Erfolgserlebnis mit Belohnungshormonen und Schokolade? Da würde ich auch auf(er)stehen und mitsuchen.
In Wahrheit war es nicht so schlimm, denn es ging ja nur um eine Handvoll Schokoladenobjekte, das stellten wir vorher sicher. Unser Kind tat sich jedoch schwer, das Konzept zu verstehen und auszuführen: »Durchsuche die Büsche nach bunten Dingen und nimm sie mit.« Das ging gegen sämtliche Regeln, die wir für draußen aufgestellt hatten. Normalerweise ist das Aufsammeln von urbanen Bodenschätzen streng verboten. Er würde sonst regelmäßig Bierflaschen, Autoreifen, Zigarettenkippen und Braunsche Fernsehröhren mit nach Hause bringen. Noch schlimmer: »Iss das Gefundene! Ja, wirklich, vertraue mir, deinem Vater, der nur das Beste für dich will: Iss das, was du draußen am Boden gefunden hast!« Bei solchen Dilemmas mogele ich mich aus der Erziehung heraus und verstecke mich hinter der Kamera, denn irgendjemand muss das Drama schließlich dokumentieren.
Eine Überraschung: Der kleine 8BitJunior glänzte mit jener Mäßigung, die er sich zu Hause selbst anerzogen hatte. Wozu die ganze Schoki-Schublade leerräumen, wenn sie immer da war? Dementsprechend sammelte er aus gefundenen Osterhasennestern immer nur ein einzelnes Ei und ließ den Rest zurück. Weiß der Teufel, wie viele Parkbusch-Süßigkeiten noch bis Pfingsten von Ratten, Zigarettenschmugglern und Dealern entdeckt werden. Was mich nachdenklich stimmt über die eigentliche Rolle des Osterhasen. Denn dessen Aufgabe ist anscheinend nicht nur, Ostereier zu verstecken, sondern insbesondere zweckentfremdete Taschentücher und Spritzkanülen zu entfernen. Was für eine Sauarbeit. Aber natürlich eine tolle Sache für die Umwelt, weshalb die Tage rund ums Osterwochenende auch Feiertage sind: Säubert die Parks der Republik!
Nun ist Ostern eine Woche vorbei und wir konnten den Schokoladenkonsum kanalisieren. Größtenteils. Ich komme aus der Dusche und sehe, wie der Kleine auf der Couch loungt. Füße überschlagen, in der rechten Hand die Fernsehfernsteuerung, in der linken ein angebissenes Schokoladenei. Schmatzend wedelt er die Fernsteuerung in meine Richtung »Papa. Amahen.« Zeit, dass es Sommer wird und wir das Laufrad auspacken.
Ich frage mich, was wir zu Halloween machen. Irgendein Volltrottel der Zuckerlobby kam auf die Idee, dass Kinder an diesem Abend tonnenweise Schokolade und Süßigkeiten von fremden Nachbarn einsammeln. Da wäre das für Süßkram ausgegebene Geld doch anderswo viel besser angelegt? Zum Beispiel in einer Tu-was-für-deine-Mitmenschen-oder-die-Umwelt-Aktion. Tüte auf, überall klingen, Scheine sammeln und für einen nützlichen Zweck spenden. Das könnten sogar die Kinder machen, dann entwickelten sie sich gleich zu guten rechtschaffenen Menschen und nicht zu zügellosen Zucker-Junkies. Den Kleinen ist nämlich ziemlich egal, um was es geht, sie möchten nur etwas Action und Aufmerksamkeit um sich herum haben. Und sich als vom Aussterben bedrohte Tierarten zu verkleiden macht nicht weniger Spaß als diskriminierende Kostüme anzuziehen, Cowboy und Indianer und Chinesen mit spitzem Hut und zwei Hasenzähnen. Nein, das macht man ja inzwischen gar nicht mehr, Gott sei Dank.
Euer 8BitPapa
P. S. Der Gewinner dieser ganzen Osteraktion ist in Wahrheit Frau 8BitPapa. Die kommt dieser Tage vollgepackt aus dem Supermarkt, ihre Beute: All die exquisiten Luxus-Schokoeier und ‑hasen, die nun zu Schleuderpreisen erhältlich sind. Sie landen natürlich in der Süßigkeitenschublade. Ob sie genau weiß, wie viele drin sein sollten?