Ein paar Restauranttests machten wir mit unserem Nachwuchs schon seit er Beikost aus dem Glas zu sich nahm und sich das Chaos um Glas, Latz und Löffel und Breiherumschleuderei in Grenzen hielt. Aber diesmal war es anders, fortgeschritten: Seit Monaten aß er inzwischen mit uns das gekochte Abendessen, halt etwas kleiner gehexelt und kühler gepustet. Höchste Eisenbahn, unsere Lieblingsrestaurants wieder aufs Menü zu setzen und dem Kleinen zu zeigen, warum leckeres Essen seinen Preis wert ist.
Nichts wie ab zum »Wein im Wedding« (* Name von der Zensur geändert), einem Spezialitätenrestaurant west‑, mittel- und osteuropäischer Küche mit international- ethnischem Asian-Fusion-Touch. Unsere Vorspeisenauswahl: Rindercarpaccio, Vitello Tonnato, ein frischer Salat mit American Dressing und eine Fischsoljanka mit zwei Löffeln. Ja, bitte alles gleichzeitig, so kann man mal hier, mal da, mit der Gabel stochern, je nachdem, welche Geschmacksknospe sich gerade meldet. Kniffliger wurde die Wahl des Hauptgerichts. Wir konnten uns nur schwer zwischen 350-g-Ribeye mit feinstem ワサビ-Meerrettich, den Ochsenbäckchen auf einem Bett aus Sauerampfer-Aiguilettes und Dreierlei vom Ostseefisch mit zartem Brennesselstampf entscheiden. Die Crème Brulée und eine kleine Auswahl bretonischer Blau- und Weißschimmelkäse sollten zum Abschluss genügen. So weit, so gut.
Es war Zeit, sich in die Geschmackswelt des Nachwuchses hineinzudenken und die Kinderkarte zu konsultieren:
- Chicken Wings mit Pommes
- Fischstäbchen mit Pommes
- Pommes Rot oder Weiß
Was zum Teufel?
Was war hier passiert?
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Flashback — Restaurantküche vor einem halben Jahr, 9:00 Uhr morgens
Der Maître probiert gerade die Linsenschaumsuppe mit Parmaflocken und Basilikum-Concassée. Ein Suppentröpfchen hängt ihm am fein gezwirbelten Schnurrbart, als ihn ein Hilfskoch anspricht.
»Schef. Üsch ‘abe nachgedacht. Viele Gäste bringen kleine Menschen mit, die niex bestellen. Schliemer noch, sie bringen eigenes Essenglas mit. Wie im Biergarten. Eigenes Essen — niex bestellen — niex Essen verkaufen.«
»Plus intéressant, Laurence. Qu’est-ce que schlägst du vor?«
»Eine Kienderkarte. Damit fühlen sisch kleine Menschen ganz groß. Mit kleine Portionen von großes Essen. 100-Gramm-’Üfte statt 350-Gramm-’Ereford. Ein statt drei Fischfilésch. Kalbsbäckschen statt Ochsenbäckschen.«
»Excellente idée, Laurence. Vielleicht können wir auch den Wareneinsatz senken? Bei gleich hohen Endverbraucherpreisen selbschtverschtändliesch.«
»Ntürlisch, Schef. Wir servieren à la Friteuse aus einem Fach mit TK-Pommes, TK-Tschieken, TK-Fiesch, TK-Schnietschel. Datsü ein Bouquet Ketchup und Majo miet viel Zuckre, Fett und Salz und die Kiender sind glücklisch. Und wenn die Kleinen glücklisch sind, dann sin auch die große Menschen glücklisch.«
»Excellente! Make it so.«
Unvorstellbar – diese Kinderkartenergüsse begegneten uns selbst in Restaurants, die wir seit Dekaden zu unseren Favoriten zählten. Zwar kein Fine Dining, aber auch kein Fastfood, gute solide Küche eben mit authentischen Gerichten.
Dass man das besser machen kann, steht doch außer Frage? Wir eröffneten also unser eigenes Restaurant »Zum Kleckernden Klabautermann«. Unique Selling Point: Auch Kleine essen bei uns ganz groß. – Die Kinderkarte stand der Erwachsenenkarte in Nieschts nach, nur waren die Portionen etwas kleiner, kindgerechter:
- Pausbacken einer Kinderkuh
- So-ähnlich-wie-Fleisch vom glitschigen Fisch
- Muhkuh-Rücken mit Glibberfettstriemen und schwarzen Streifen
(Praktisch bei den Portionsgrößen: Wir druckten ein zweites Kinderkarten-Set mit identischer Bebilder- und Betextung und schrieben vorne drauf: Seniorenkarte.)
Freilich wurden einige Zutaten angepasst. Der Branntwein wich kindergehirnfreundlicherem Rotwein. Weißer Trüffel wurde durch schwarzen ersetzt. Statt raw und blue gab’s trockendurchgebraten. Und Fischrogen strichen wir komplett, weil, Hand aufs Herz, so richtig gern mag den keiner, auch nicht die Erwachsenen, es sei denn man besitzt ein Haus in Moskau oder St. Petersburg.
Auch bei der Einrichtung hielten wir uns an »Kids first« oder zumindest »not last«. Als Sitzgelegenheiten kamen Luxus-Tripp-Trapps aus kambodschanischem Macaranduba-Tropenholz mit Getränkehaltern und seitlich arretierten Nahrungsauffangsbehältern zum Einsatz. Außerdem verfügte jede Sitzgruppe in der Mitte des Tischs über einen Notschalter. Mit einem kräftigen Faustschlag seilte eine Monitoraufhängung über dem Tisch ab, um eskalierende Kindereskapaden schnell mit Bob dem Baumeister und Bob der Bahn im Keim zu ersticken. Am Wichtigsten schien uns aber eine Gendering-Revolution teutonischer Gastronomie: Windelauflagen in der Herrentoilette.
Nun haben wir sie hier, die kleinen Gourmands, die in Hummersauce panschen, sich Schaschlikspieße in die Augen stechen und mit Lobsterscheren bewerfen. Die kleine Mari-Juana verschüttet versehentlich zwei Liter Frittierfett, als sie mit der bloßen Hand die reingefallene Fonduestäbchen herauszufischen versucht. Klein Arla-Skyr-Pascal schreit seine Eltern an »DAS ist Ossobuco? Ich will Snitzel!«. Und Pepsi Jackson Lennox Matt-Eagle füllt gerade eine Bewerten-Sie-uns-Notiz aus »Kein Sand, keine Erde, keine Hundeaa auf der Karte. Bimms ich bei Paul Bocuse oder wat?« – Streckenweise war der Laden rappelvoll mit plärrenden Kindern, die mit Essen warfen, alle Videomonitore waren aktiviert und auf Laut gestellt und die Kleinen orderten zwar, aßen aber nicht. Von den Eltern, die mit ihren Bestellungen den Break-even-Punkt treffen sollten, fehlte jede Spur. Was war hier schief gegangen? Sollten Kinder gar nicht in Restaurants gehen? Dienten Kinderkarten der Abschreckung?
Dann kam uns eine Idee, wie Kinder doch gesund aßen und die Küche keinen Ärger hatte: Wir ergänzten die Speisekarte um die Position »Räuberteller: Das Kind klaut von den Tellern seiner Eltern.« Genial!
Dahinter schrieben wir »8,50 €«.
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Ich wachte aus meinem Tagtraum auf und biss gedankenverloren in meinen Big Crispy Double BBQ Bacon Kingmac. Neben mir ein leises Betteln: mein Sohn. Er streckte sich nach dem Haufen ausgeschütteter Pommes, der Buggy-Gurt hielt ihn aber zurück. Ich streichelte seinen Hinterkopf und gab ihm eine Reiswaffel.
Mahlzeit!
Euer 8BitPapa