Mayday Mayday, Klimakatastrophe in Sicht! Viele Spezies kurz vor dem Aussterben! Es ist kurz vor Zwölf! Dieses Mal ist es ernst. War es letztes Mal auch schon, aber dieses Mal ist es noch ernster. Wirklich!
»Taubhe!«
»Die heißen Trrrrauben.«
»Taubhen!«
Mit Mühe wickelte ich ein Dutzend einzelne hellgrüne Weintrauben aus ihrer Schutzfolie, ein kleines Frühstück für den Kleinen. Individuell verpackt reifen sie besser, fand man heraus, auf ihrem langen Weg von Südhamudistan nach Europa. Ich geriet ins Nachdenken: War die Folie eigentlich biologisch abbaubar?
Ich raffte die Weintraubenfolien zusammen und drückte sie in 8BitBabys Hände. »Plastikmüll!« Der Kleine rannte stolz zum gelben Mülleimer. »Müh!« Aber der ist mal wieder voll.
Weintraubenverpackungen gibt es zum Glück noch nicht. Und wir trennen unseren Müll vorbildlich, haben sogar einen Biomülleimer angeschafft, den wir zeitnah leeren. Aber in den letzten Monaten schien sich die Plastik-Recycling-Tüte doppelt so schnell zu füllen. Oder war das schon immer so viel? Kurios bei all der Mühe: Deutschlandweit werden nur 16–30% davon wirklich recycelt, je nachdem, wo man nachguckt. Der Rest wird verbrannt. Und dabei schlagen die Klimatologen jetzt, 2019, schon wieder Alarm. Dieses Mal ist es aber ganz besonders ernst: Eine Million Spezies müssen wahrscheinlich dran glauben.
Unsere Umweltprobleme sind nicht wirklich neu. Ein 1985 gemeldetes Loch in der Ozonschicht und ein explodiertes ukrainisches Atomkraftwerk ein Jahr später läuteten den Paradigmenwechsel ein. »Schüsse vor den Bug«, Warnungen an alle, jetzt etwas zu tun, zu reagieren, oder wenigstens die Probleme zur Kenntnis nehmen. Das ist nun über 30 Jahre her, und, ja, es ist seitdem einiges passiert in unserem Denken und Handeln. Doch die Jahre vergehen, und Meldungen über erfolgreiche Klimaschutzmaßnahmen spielen Katz und Maus mit Meldungen über noch rasantere Verschlimmerungen der Situation.
Heute, es ist gerade 2019, wird klar: Wir schaffen es nicht.
Unsere FCKW-freien Kühlschränke, LED-Lampen, finegetuneten Thermostate, dicken Jacken und isolierten Häuserwände, der reduzierte Fleischkonsum und ökobewusster Einkauf, all das sind Spitzen eines Eisbergs, dessen unsichtbarer Unterwasserteil so fest im politischen und wirtschaftlichen System verankert ist, dass ein Prozentchen hier und ein paar Grenzwertchen dort nicht genügen, um das Aussterben eines Achtel aller Spezies zu verhindern. Die damit verbundene Abhängigkeitenkette bringt die Auswirkungen für den gesamten Globus in Kontext.
Dank einer Metastudie der IPBES der UNO wird das Ausmaß der Probleme klar. Eine kleine Auswahl: Eine Million aller Spezies wird aussterben, darunter ⅓ aller Meeressäugetiere. Wir produzieren zehn Mal mehr Plastikmüll als in den 80ern, haben in den letzten 20 Jahren 7% aller Wälder abgeholzt, benötigen ¼ des Festlandes, damit Kühe fressen und pupsen können und pumpen jährlich über 300 Millionen Tonnen Gift ins Wasser. Und irgendwo dazwischen tänzeln wir, die einzelnen Verbraucher, in unserem Alltag um das Thema herum. Wieder muss sich jeder an die Nase fassen, seinen Beitrag leisten, zehn Meter Klarsichtfolie sparen. Dabei produziert die Industrie das Tausendfache an Müll, obwohl man wirtschaftspolitisch doch schon an Lösungen arbeitet – besonders in Deutschland. Aber halt, nein, so überdimensioniert darf man eigentlich überhaupt nicht denken. Tatsächlich geht es bei jedem einzelnen los. Bei jedem einzelnen Auto, bei jedem einzelnen Urlaub, bei jeder einzelnen eingeschweißten Gurke und bei jedem einzelnen Quetschie (wer hat sich schon wieder so einen Plastikmüllquatsch einfallen lassen?), bei jedem einzelnen Menschen.
Es ist eine schwierige Aufgabe, eine Art Begleitmission für den Planeten Erde. So schwierig wie die Geschlechtergleichstellung und die Zensur volksverblödender Realitysoaps, populärwissenschaftlicher Docutainment und Schlager- und Volksmusik. Denn es beginnt beim traditionellen Jahresurlaub in ein sonniges Land, zieht sich über Mobilitätsfreiheiten, der Wahl der Volksvertreter bis hin zu Herkunft und Verbrauch von Lebens- und Konsumgütern. Alles muss sich ändern.
Sofort.
Ist es nun sinnvoll, eine Bambusholz- statt einer Plastikzahnbürste zu kaufen? (Schon mal vom Zahnbürstenbaum gehört?) Muss ich bei Luftballons für den Kleinen nach Öko- oder Bio-Produkten suchen? Wir brauchen eine neue 24cm-Pfanne – woran erkenne ich, dass alle Bestandteile biologisch abbaubar sind? Ab wie vielen Transportkilometer sind Getränkeglasflaschen ökologischer als die in Plastikflaschen? Haben Insektenburger eine bessere Ökobilanz als die aus Rindfleisch?
Wenn ich mein alltägliches Leben durchdenke, scheint es so viele Entscheidungen auf allen Ebenen zu geben, da komme ich mir naiv und unwissend und überfordert vor. Ich habe fast keine Ahnung und finde es außerordentlich schwer, neutral berichtende Quellen im Internet zu finden. Ja, wie nachhaltig ist es denn wirklich, das Brot selber zu backen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Haushaltsofen so wirtschaftlich produziert wie eine Großbäckerei (inkl. Lieferung, denn auch ich muss die Zutaten ja irgendwo herbekommen.) Und trotzdem sind alle Foren und Gruppen vollgepackt von solchen Darstellungen.
Ich habe mir jedenfalls mal ein paar der neuen dünnen (abbaubaren) Plastik(!)-Beutelchen besorgt (Update: Gibt’s auch aus Biobaumwolle), um einzelne Früchte und Gemüse ohne individuelle Plastikverpackung einkaufen zu können, und heute Abend probieren wir Insektenburger. Denn dass Rinder einen signifikanten Anteil Methan zur Klimaveränderung beisteuern, ist ja schon lange kein Geheimnis. Shampoo (Empfehlung/Werbung, keine Riesenplastikflasche mehr, schäumt aber prima: https://amzn.to/2HVz8ho) und Duschgel und Seife kaufen wir nun auch ohne Plastikverpackung. Wir trennen auch Biomüll, seit wir gelernt haben, was alles in den Container rein darf und wie man das Ganze ohne Sauerei und Fliegenplage hinbekommt. So manifestiert sich Schritt für Schritt eine Veränderung: Weniger und bewusster zu verbrauchen und Plastik zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.
Der Kleine weiß noch gar nicht, was hier wirklich los ist. Aber er geht mit uns Einkaufen, kocht mit uns, lernt die verschiedenen Mülleimer kennen, und setzt alles, was wir machen, als seinen Maßstab. Zeit, diesen Maßstab neu zu justieren. (Mülleimer-Werbung, denn hier gefielen uns die Größen- und Farbkombinationsmöglichkeiten sehr gut; die Eimer haken ineinander und das System ist auch verständlich für den Kleinen: https://amzn.to/2NeHHbF.)
»Plastikverpackungen um Zucchini? Echt jetzt? Ach, Plastik ist doof. Junger Mensch, wirf das hier bitte in den Plastikmüll.«
»Pasti doof!«
Euer 8BitPapa