»Also unser Baby schläft immer durch, wenn wir Besuch haben/die Nachbarn Schlager spielen/nebenan eine Rakete einschlägt.« Denkste. Das glaube ich nicht in hundert Jahren. Denn wir haben eines von diesen »Wunder«-Babys, das immer dann »schläft«, wenn es überall kracht. Wer aber meint, es handle sich um Tiefschlaf, bei dem das Baby wirklich entspannt, und ausgeruht und fröhlich aufwacht, der irrt gewaltig.
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Es sieht so einfach aus. Geht man draußen spazieren, auch an den verkehrsreichsten Straßen und belebtesten Kreuzungen, oder passiert in unmittelbarer Umgebung etwas Lautes, z. B. ein Flugzeug oder das Space Shuttle startet, dann schließt das Baby die Augen und bewegt sich nicht mehr. Für das ungeübte Auge sieht das aus, als drifte es ins Reich der sieben Träume. Dorthin, wo die Muttermilch in Flüssen fließt, wo Muttermilch vom Himmel regnet und Muttermilchfläschchen auf den Bäumen wachsen. Dabei ist doch sonnenklar:Das Baby ist schlau und stellt sich tot!
Die einen nennen es Schlafen. Wir nennen es »Panikpennen«. Und der Unterschied könnte maßgeblicher nicht sein, für alles, was danach passiert. Denn während ein schlafendes Säugetier nach seiner Pauseperiode ausgeruht ist, Kräfte gesammelt hat und voll Mut und Energie lachend mit ausgebreitenden Armen in neue Abenteuer stürzt, führt Panikpennen zum genauen Gegenteil: Verwirrung, Unruhe, Hypersensibilität, ADHD, Energielosigkeit und Tränen, Geweine und Gewimmere. Darum ist so wichtig, reguläres Schlafen von Panikpennen zu unterscheiden: Erwacht das Baby aus erholsamem Schlaf, dürfen sich Eltern auf Spiele- und Krabbelsessions freuen und Sprachübungen und gemeinsames Lachen, bis der Arzt kommt. Am Ende einer Panikpennphase ist man jedoch gut beraten, ein paar Dinge parat zu haben: Feuchttücher, Babypuder, Wattepads, eine neue Windel und Ohropax und viel Geduld.
So kurios das Panikpennen auch scheint, so hat es freilich seine evolutionäre Daseinsberechtigung. Panikpennen wurde erstmals von Halvard Hagelkorn, vor etwa 40.000 Jahren im Spreetal als Überlebensstrategie eingesetzt. Auf der Suche nach einem Snack überfiel seinerzeit ein Pärchen Veloziraptoren das später als »Berlin« bekannt werdende Dorf »Sumpfloch« , in dem ein kleiner Stamm Homo sapiens sapiens siedelte, um Spreemakrele und Eisbein zu fischen. Während die erwachsenen Exemplare wie wildgewordene Säbelzahnwespen zwischen den Mehrfamilienhütten hin- und herhüpften und die Raubsaurier auf sich aufmerksam machten, stellte sich Baby Hagelkorn tot. Nicht beabsichtigt. Es hatte gerade 250 ml feinste Muttermilch verdrückt und war außerstande sich zu bewegen oder einen Laut von sich zu geben. Wahrscheinlich hätte es gerufen »Wat isn ditte, mir wird janz blümerant zumute. Zu Hilfe, zu Hilfe, wa.«, doch in Folge des Essenskomas blieb es stumm. Das war sein Glück. Die Veloziraptoren ignorierten das Baby, es überlebte. Und mit ihm all seine Nachkommen, in deren Genen sich das Panikpennchromosom verewigte.
Unser Dreikäsehoch ist garantiert Nachkomme dieser Panikpenner. Denn auch ich bin früher gerne während der Hausaufgaben eingenickt und Frau 8BitPapa bekommt einen panischschläfrigen Blick, wenn ich ihr aus dem Behind-the-scenes-Nähkästchen von Star Trek berichte (»Ja, wirklich, auch das ist Brent Spiner!«, »Die Flöte spielt Picard noch in späteren Episoden.«). Besonders gerne »schläft« unser Nachwuchs auf überfüllten Spielplätzen und bei Würstchenständen in Parks und bei Einkaufsbummeln am letzten Weihnachtswochenende — natürlich nur solange wir uns bewegen. Auch viel befahrene Kreuzungen und Flugzeugüberflüge steckt er lethargisch und/oder müde weg. Selbst wenn er mal die Muttermilch statt per Brust per Fläschchen serviert bekommt, weil Frau 8BitPapa zu irgendeiner Rückenbildung oder so ähnlich geht, erschlafft seine gesamte Muskulatur und schließen sich die Augen. Dieser Schummelschlaf ist von echter Bettruhe allerdings so weit entfernt wie der heutige Tag von der Sumpflochflughafeneröffnung (eine Geschichte, die sich nur durch Panikpennen erklären lässt). Doch es kommt natürlich noch schlimmer. Ich habe in solchen Fütterungszeiten neben einigen Spucktüchern immer eine Packung Ohropax neben mir liegen. Denn nach einer ordentlichen Panikpennperiode kann man noch so liebvoll und zärtlich sein, gut zureden, das Köpfchen streicheln oder den Babykörper an den Armen packend energisch hin- und herschütteln: Nach dem Panikpennen kommt garantiert das Schreckschreien. Oder, schlimmer noch, das Terrortoben.
Wie das jetzt wohl zu Weihnachten wird mit zwei Dutzend Verwandten, die ihn umringen?
In diesem Sinne, ein frohes Fest
Euer 8BitPapa
P. S. Hier nochmal der Link zu den 10 wirklich wirklich wichtigen Dingen, die wir im ersten Monat gebraucht haben.