8BitPapa

Indiana 8BitPapa und der Tempel der tausend Viren

Besser gleich ein halbes Jahr Urlaub nehmen.

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Durch den Groß­stadt­dschun­gel, vor­bei an den Viren­fal­len der Bäcker und Bazil­len­schleu­dern an vol­len Bus­hal­te­stel­len schaff­te ich es bis in die Kita, in die Keim­zel­le aller Krank­heits­er­re­ger. Ich hat­te Glück. Da lag er, mein Sohn, frisch gewin­delt auf dem Wickel­tisch, mit einem Lächeln so breit wie das einer Bud­dha-Sta­tu­et­te. Die Betreue­rin kram­te gera­de hin­ter der Tür her­um, sah mich nicht. Mit einer geschick­ten Hand­be­we­gung tausch­te ich das Baby gegen eine Win­del­pa­ckung mit glei­chem Gewicht. Sie wür­de den Wech­sel sicher nicht bemer­ken und wir könn­ten dem Viren­ver­ließ ent­kom­men. Mucks­mäus­chen­lei­se steu­er­ten wir Rich­tung Umkleide.

Doch es wur­de laut hin­ter uns. Schrei­en, Stöh­nen, Weh­kla­gen. Ver­dammt, sie war nicht dar­auf rein­ge­fal­len, viel­leicht die fal­sche Win­delsor­te. Die Kita-Betreue­rin erschien am Ende des Gangs mit voll­ge­rotz­ten Taschen­tü­chern in der Hand. Hin­ter ihr stapf­ten und kro­chen zwei Dut­zend grip­p­ebe­fal­le­ne Kin­der­ka­da­ver in unse­re Rich­tung. Ich lief, wäh­rend um unse­re Köp­fe Spu­cke­pa­pier­ku­geln, voll­ges­ab­ber­te Plas­tik­prin­zes­si­nen und Lego­klötz­chen peitsch­ten. Schnell!! Sein Jäck­chen umwer­fen. Sei­ne Schüh­chen anzie­hen. Sein Ruck­säck­chen packen. Das »Bit­te Win­deln mitbringen«-Schildchen umdre­hen. Geschwind wie der Wind zum Aus­gang laufen. 

Da tat sich vor uns ein Gru­be auf, gefüllt mit Rotz und Spu­cke, alten Taschen­tü­chern und Win­deln. Und ich hat­te mei­ne Peit­sche nicht dabei, um uns am Bal­ken da oben hin­über­zu­schwin­gen. Aber dort! Auf der ande­ren Sei­te sah ich ein bekann­tes Gesicht. Frau 8BitPapa! Sie hat­te mei­ne Peit­sche, bereit zum Wurf. Hin­ter mir näher­ten sich rasch die Grip­pe­mu­mi­en, als sich über ihnen ein gro­ßer Schat­ten über die Sze­ne schob: Eine gewal­ti­ge Kugel aus alten Win­deln und Abputz­wat­te- und Feucht­tü­chern roll­te auf uns zu. Ich such­te den Blick mei­ner Frau. »Zuerst das Baby!« rief sie, »Kei­ne Zeit. Mach schon!« Ich küss­te mei­nen Sohn auf den Kopf und lupf­te ihn vor­sich­tig die feh­len­den Zen­ti­me­ter in die Obhut sei­ner Mut­ter. Die war sofort vom Bann ihres Babys ver­schlun­gen, ließ die Peit­sche fal­len und stürm­te aus der Kita. 

Ich war verloren.

— 🕹 —

Alles halb so wild. Das ist nur Teil eines Film-Scripts, das ich 1980 an Ste­ven Spiel­berg geschickt hat­te. Natür­lich abge­lehnt, es gäbe kei­ne Ziel­grup­pe für »so irr­wit­zi­ge Aben­teu­er­ge­schich­ten« und »was der Quatsch mit der Peit­sche soll«.

Doch die Bedro­hung ist real. Jähr­lich bean­tra­gen Tril­li­ar­den deut­scher Arbeit­neh­mer Kin­der­krank­ur­laub, und eben­so vie­le Nach­wach­sen­de wer­den wegen schlim­mer Krank­heits­sym­pto­me zuhau­se zum Bücher­le­sen oder You­Tube-Gucken ver­don­nert. Die Lösung? Sicher­lich gibt es kei­ne Lösung, wenn für jeden Mist Anti­bio­ti­ka ver­schrie­ben wer­den. Die dün­nen den Bak­te­ri­en­pool gemüt­lich aus und evo­lu­tio­na­li­sie­ren dabei Super­bak­te­ri­en, gegen die es dann kei­ne Mit­tel mehr gibt. »Ale­xa, bestel­le bit­te drei Cryo­tanks.« Das hier ist wirk­lich pas­siert, stand neu­lich in der BZ: »Ein Arzt ver­schrieb Anti­bio­ti­ka gegen Depres­sio­nen.« Gegen was Anti­bio­ti­ka wohl noch so hel­fen könn­te? Müdig­keit? Hun­ger? Durst? Grip­pe­vi­ren? Lesen? Ignoranz?

Da kann ich die Kitas ver­ste­hen, die rund um die Krank­heit eines Kin­des Qua­ran­tä­ne-Zeit­bla­sen ein­rich­ten. Bei unse­rer Kita braucht man für die grö­ße­ren Über­le­bens­er­eig­nis­se mitt­ler­wei­le eides­statt­lich zuge­si­cher­te und nota­ri­ell beglau­big­te Gesund­heits­pro­to­kol­le mit Zweit- und Dritt­mei­nung von Ärz­ten aus ande­ren Bun­des­län­dern mit ein­ge­hal­te­ner Gleich­stel­lungs­quo­te. Am bes­ten schon eine Woche vor Rück­kehr in die Kita. 

Zu mei­ner Zeit gabs das nicht. Eigent­lich hät­te mein klei­nes Geburts­tags­fest zum sie­ben­ten Über­le­bens­jahr wegen Röteln abge­sagt wer­den müs­sen. Statt­des­sen star­te­te mei­ne Mut­ter eine Tele­fon­la­wi­ne und lud alle Kin­der ein, deren Müt­ter es für eine gute Idee hiel­ten, dass sich ihre Kin­der, vor allem die Mäd­chen ansteck­ten. Bes­ser jetzt, als spä­ter, wäh­rend einer Schwan­ger­schaft. Da stand ich also, auf mei­ner Geburts­tags­fei­er, über­säht mit roten, eit­ri­gen Pickeln im Gesicht und dem gan­zen Kör­per, im Krank­sein-Kin­der-Bade­man­tel, mit Klas­sen­ka­me­ra­den und ‑kame­ra­din­nen um mich her­um, inklu­si­ve M., in die ich fürch­ter­lich ver­knallt war. Ja, es gibt ein Foto die­ses trau­ma­ti­schen Ereig­nis­ses. Ja, seit­dem feie­re ich nicht Geburts­tag. Und Tja, es waren dann doch kei­ne Röteln, son­dern nur Windpocken.

Dabei ist mit sol­chen Anste­ckun­gen wirk­lich nicht zu spa­ßen, ins­be­son­de­re nicht 2019. Begon­nen hat­te unse­re Neu­auf­la­ge der Patho­gen­par­ty mit dem fami­liä­ren Neu­zu­gang schon kurz nach der Kita-Ein­ge­wöh­nung ver­gan­ge­nen Herbst. Schnell wur­de es ein Hap­pe­ning für die gan­ze Fami­lie, das sich gleich über meh­re­re Mona­te erstreck­te. Einer war immer krank, und die ande­ren bei­den wech­sel­ten dann jeweils zwi­schen Inku­ba­ti­on und Ver­brei­tung neu­er Para­si­ten­stäm­me. Das war übri­gens noch zu der Zeit, die wir aus offen­sicht­li­chen Grün­den die »Spuck­tuch-Ära« nann­ten. Und ging es dem Klei­nen mal etwas bes­ser, schick­ten wir ihn vor Freu­de gleich wie­der in die Kita, um dort neue Kei­me abzu­ho­len. Und das obwohl wir vor­ge­warnt wur­den, von mei­ner Zahnärztin.

Ich glau­be, mei­ne Zahn­ärz­tin kam eigent­lich als Fri­seu­rin auf die Welt. Denn sie quatscht als gäbe es kein Mor­gen. Ihre Mono­lo­ge wäh­rend Wur­zel­be­hand­lun­gen und Weiß­heits­zahn­ex­trak­tio­nen sind schon kuri­os genug (»Ich hat­te mal einen Pati­en­ten, der… Fin­den Sie nicht auch? Ach Sie kön­nen ja gera­de nicht…«), da kann man wenigs­tens etwas dösen. Ist man aber gera­de nur für eine Zahn­rei­ni­gung da, ent­steht gege­be­nen­falls ein Gespräch. Ich has­se Friseurgespräche.

»Und was macht die Kita-Eingewöhnung?«

»Ae ia! Ahe inj häer eheh Kan­jeie, Kihe u Eän­jän­ju u ko.«

»Ach ja ja ja, das ist immer so. Haben Sie hof­fent­lich noch genug Urlaub für die­ses Jahr? Das tut jetzt etwas weh.«

»Ieho? I eiä Ohe i ah ho iehea ohei i er Kihe. Hui, aua!«

»Nein, nein, nein. Haha­ha, aus­ku­rie­ren… Das geht jetzt erst rich­tig los. Sie wer­den sehen. Neh­men Sie sich bes­ser jetzt schon Urlaub. Hier könn­te es jetzt etwas zwicken.«

»Ual­auh? Ah eh e eh ihi oh?«

»Na wenn die Grip­pe vor­bei ist, kommt die nächs­te Krank­heit. So ist das in der Kita. Erst Mumps, dann Röteln, Keuch­hus­ten, Schar­lach und natür­lich die Hand-Fuß-Mund-Krank­heit. Jetzt noch­mal, ist gleich vorbei.«

»AUA! Hanh-Unh-Huhfh??«

Von die­ser Krank­heit hat­te ich schon gele­sen, als wir vor Jah­ren auf Kita-Suche waren. Gele­gent­lich stie­ßen wir auf ver­dun­kel­te Läden mit ver­schlos­se­nen Türen und ver­gilb­ten Schil­dern, auf die der Name einer x‑beliebigen Krank­heit gekri­zelt war »Wir haben Cho­le­ra« oder so. »Hand-Fuß-Mund« klang nun aller­dings so, als hät­te sich das jemand aus­ge­dacht und die­se Per­son war nicht beson­ders gut im Aus­den­ken von Krank­heits­na­men. Wer von »Hand-Fuß-Mund-Krank­heit« spricht, bei dem steht zu Hau­se sicher ein Magnet-Strah­len-Essens-Erwär­mer und ein In-Ver­schie­de­ne-The­men-und-Situa­tio­nen-Ein­blick-Ver­schaf­fer, und er tippt Nicht-in-der-phy­si­schen-Welt-exis­tie­ren­de-Brie­fe auf einem Ober­schen­kel-Auf­la­ge-Elek­tro­nen­ge­hirn-mit-ein­ge­bau­tem-In-Ver­schie­de­ne-The­men-und-Situa­tio­nen-Ein­blick-Ver­schaf­fer. Das kann selbst ich bes­ser: Hand­mu­fo­se oder Ultra­po­cken, Schleim­hau­ti­tis, Omni­bo­se oder Kin­der­wut, Her­umsau­phi­lis oder Todes­röt­ler, das klingt doch nach was!

Wenn Sie sich jetzt fra­gen, woher ich die­se tol­len Ideen habe, kann das dar­an lie­gen, dass mich wie­der so ein arg­lis­ti­ges Patho­gen erwischt hat, mei­ne Umge­bung ver­zerrt ist und ich aus dem Deli­ri­um her­aus schrei­be. Sie haben’s mal wie­der geschafft, die Viren und Bak­te­ri­en, die Spo­ren, die Ali­en­k­ei­me und Ome­ga-Teil­chen aus dem Kin­der-Groß­werd-und-Erzieh-Haus. Das wür­de auch erklä­ren, war­um der Mit­tags­schlaf unse­res Sohns die­ses Wochen­en­de fünf statt der übli­chen hal­ben Stun­de dau­ert. Es erklärt auch, war­um mei­ne Frau bei Miss­ver­ständ­nis­sen bezüg­lich der Woh­nungs­hy­gie­ne immer­zu sagt »Bist du taub?«

Es müs­sen also neue Lösun­gen her. Zum Bei­spiel Tele-Kita-Plät­ze: Was für Büro- und Com­pu­ter­ar­beits­plät­ze funk­tio­niert, muss für Kin­der nicht schlecht sein? Jedes Kind bekommt eine Action Cam auf den Kopf und die Gesich­ter von Spiel­tie­ren und ‑pup­pen wer­den durch klei­ne Bild­schir­me ersetzt, auf denen die Gesich­ter der Kita-Kom­mi­li­to­nen ein­ge­blen­det sind. Das Wort Tele­spiel wird neu erfunden!

Zu viel Hor­ror? Nein, denn jetzt begin­nen die ver­schrei­bungs­pflich­ti­gen Ben­zo­dia­ze­pi­ne zu wir­ken und ich drif­te ab in die Traum­welt der Kin­der, Kitas und Kei­me, dem per­fek­ten Nase­ab­wisch-Move, dem Im-Son­nen­schein-Fun­keln der Tröpf­chen, die mein Sohn gera­de auf das Bil­der­buch­pa­pier geniest hat und der gro­ßen grü­nen Rotz­bla­se vor sei­nem rech­ten Nasen­loch, die er mit jedem Atem­zug grö­ßer und grö­ßer auf­bläst. Schnell, wo sind die Maler-Abdeckfolien?

— 🕹 —

Ich ste­he mit mei­nem Sohn im Kin­der­ca­fé und wir über­le­gen uns, wie er sich die nächs­ten 15 Minu­ten beschäf­ti­gen möch­te. Vor uns die Rega­le mit Baby­spiel­zeug, eines schmut­zi­ger und abge­grab­bel­ter als das ande­re. Auf eini­gen schim­mert fri­sche Kin­der­spu­cke, auf ande­ren kle­ben Spei­se­res­te und nicht iden­ti­fi­zier­ba­res ver­krus­te­tes orga­ni­sches Mate­ri­al. Das 8BitBaby stürzt sich mutig vor­an. Ich bekom­me ihn gera­de noch an der Kapu­ze zu fas­sen, da schrei­tet ein alter Mann in Kreuz­rit­ter­rüs­tung aus dem Schat­ten und flüs­tert »Wählt weise.«

Ah super, das muss ich mir notie­ren und gleich mor­gen an Spiel­berg schicken!

Euer 8BitPapa

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