Die erste Begegnung der seltsamen Art hatten wir im Mai 2017 bei unserem vorerst letzten Urlaub als Duett.
Algarve, Portugal.
Nach dem Loggen eines Geocaches kletterten wir von einer tief liegenden Bucht hoch zur Küstenstraße, da trottete ein altes Ehepaar, so um die 70, an uns vorüber. Typ: Britische Rentner, die sich ihre Jahresportion Portugalsonne und Hippiekeramik abholten. Kennzeichen: krebsrote Haut und ein paar Guinness- und Pie-Pfunde zu viel. Sie hatten etwas getuschelt, und als wir passierten, streckte uns der Mann mit den Worten »Well done« einen Daumen-hoch entgegen.
Wir lächelten verlegen und irritiert, entfernten uns, und interpretierten das als Lob für unsere eben gemeisterte Geocaching-Kletteraktion. Aber mysteriös war‘s trotzdem, denn die beiden wirkten nicht wie Menschen, die Hobbys mit großartiger Mobilitätsanforderung nachgehen. Ein Daumen-hoch, einfach so auf der Straße. Hm.
Einen Tag später, wir waren wieder an einer Steilküste unterwegs, begegneten wir einer wandernden Familie – ein junges Paar mit Schwiegereltern. Als wir sie passierten, lächelte die Schwiegermutter meiner besseren Hälfte gutheißend nickend zu. Einige Meter Abstand zwischen uns gebracht erkundigte ich mich.
»What the fuck?«
»Das passiert mir häufiger in letzter Zeit. Irgendwelche fremde Frauen lächeln mir auf offener Straße einfach zu. Gruselig ist das.«
»Aber was…? Ouhh! Das sind alles Mütter! Exschwangere! Die sehen dich, erinnern sich und wünschen dir mit dieser, haha, bedeutungsschwangeren Geste alles Beste.«
»Ich finds creepy. Am Bahnhof. Im Supermarkt. Das sind fremde Menschen und das hier ist doch privat.«
»Ja, aber irgendwie auch cool und nett. Eine Art Mutter-Codex? Wahrscheinlich teilen Mütter auf der ganzen Welt mit dieser geheimen Lächelnickgeste per Gedankenblitztelepathie ihre Erfahrungen und Gefühle mit Schwangeren aus. ‚Allet jut‘, ‚Don’t worry‘ sozusagen.«
»Was? Das heißt, man sieht den Bauch schon?«
»…«
»Wirklich?«
»Ja, man sieht was. Ist halt nicht schokoladen- und schweinsbratendick, sondern eher eine Eierform, die sich nach vorne und nicht zur Seite wölbt.«
»Oh Mann.«
Eine Minute später dämmerte es uns.
»Moment mal. Der Typ gestern. Der Daumen hoch! Das war nicht für den Geocache! Das war eine ‚Gut-gemacht-Geste‘! Dafür, dass wir dieses Baby in die Welt gesetzt haben. Mehr noch, das war eindeutig in meine Richtung. Weißt du: ‚Well done‘. So unter Brüdern.«
»Das ist ja… Ich weiß gar nicht wie das finde…«
»Chauvinistisch, klar! Old school. Hey Sailor, hiho! Haste ihr einen Braten in die Röhre geschoben, du Hund du.«
»Darum das Getuschel! Das heißt, auch die haben erkannt, dass ich schwanger bin? Sieht man das wirklich so deutlich? Oh Mann.«
»…«
Seit dem steht meine bessere Hälfte jeden Tag zwei Minuten halbnackt vor dem Spiegel, umgreift den Babybauch wie einen Volleyball und dreht sich um die Y‑Achse, die Form von allen Seiten begutachtend. Gedankenverloren, zwischen »Wow ist der dick!«, »Was zieh‘ ich an?« und gleich wieder »Wow ist der dick!«
Und schon einen Monat später gewöhnt man sich an die neue Generation offensichtlicher Reaktionen. Im Bus werden proaktiv Plätze angeboten (– nicht ohne dass die zukünftige Mutter in stille Tränen ausbricht, denn freundliche Menschengesten aktivieren eine Art Gerührtsein-Hormoncocktail). Der türkische Kellner mit der zu freundlichen Säuselstimme schlägt einen anderen Tisch mit mehr Platz drumherum vor. Der holländische Restaurantchef fragt gerade aus »Uhnd wälchchär Monat?« (ebenfalls männerschulterklopfend). Und sogar die Nachbarin, die in der Supermarktschlange jeden Mitmenschen grundlos ankeift, entschuldigt sich beim Anblick des Bauchs mit einem Have-been-there-have-done-that-Blick.
Wären da nicht die Nullchecker und Höflichkeitsfettnäpfchenstampfer.
Die erste Art lebt in einer Welt, in der es normal ist, dass manche Menschen in wenigen Monaten ihren Umfang verdoppeln. Für Nullchecker durchlebt ein signifikanter Teil der Menschen für ein Jahr eine unbändige Schilddrüsenunterfunktion (unter Schwangeren ein ernstzunehmendes Problem) oder eine zeitlich befristete Fettleibigkeit. Oder sie blenden diesen Teil der Realität einfach aus, z. B. alles unterhalb der Schulter. Auf diese Weise erkennen sie auch nicht den für Schwangere typischen Entenwatschelgang, der so aussieht, als schöbe man einen putzigen Neutronenstern vor sich her.
Die Höflichkeitsfettnäpfchenstampfer hingegen haben einige Umgangslektionen verpasst. Ein paar Dinge klingen seltsam am Ende des sechsten Monats. Zum Beispiel:
»Man sieht ja gar nichts.«
Wie bitte? Da ist ein Bauch von der Größe einer Wassermelone (keine holländische Gewächshausminiatur, sondern eine von den großen türkischen). Welchen Sinn macht es, einen Bauch zu verneinen, den man sogar von der Internationalen Raumstation sieht? Mit diesem unbedachten Kommentar sagen sie also:
»Warst du nicht immer schon so dick?«
Charmant. (Pst, dann lieber nichts sagen.)