Brütende Sommerhitze 2018. Es riecht nach Füßen und Penatencreme. Die Mütter einer Berliner Babykrabbelgruppe sozialisieren ihre Nachkommen um die Wette. Mütter? Wo sind denn die vielen Väterkumpel, die mir die Elternzeit-Plus-Flyer versprochen haben?
Na gut, ich war tatsächlich nicht der einzige Vater. Da war noch einer. Glaube ich. Ein muskulöser Mittzwanziger in weißem Sommerleinenhemd, mit gepedikürten Barfüßen und buschigem blonden Vollbart mit Gallierzopf und, wie heißt das, Topdutt oder so ähnlich. Ein echter »Manbunny«. Er saß zwischen einem halben Dutzend Müttern, die ihn ankicherten, während an seinen vier Gliedmaßen Säuglinge rauf und runter krabbelten und dabei vergnügt gurrten. Ein Bild, wie gemacht für einen »Vikings«-Trailer oder eine griechische Amphore mit Jason, dem Argonautenseefahrer. Aha! Das wird also ein »Wer ist der coolere Dad«-Wettbewerb.Mit Mühe konnte ich meinen Blick von dem Naturwunder losreißen. Gerade rechtzeitig, denn mein Sohn hatte in diesem Augenblick einem kleinen Mädchen den Schnuller geklaut. Er war drauf und dran, ihn mit seiner Spucke zu infizieren, als sich die Mutter todesmutig dazwischenwarf. Das Ganze spielte sich vor mir in Zeitlupe ab, und so verharrte ich versteinert starr und sprachlos vom eben Geschehenen, nach Worten oder Taten ringend. Was empfahl der Krabbelgruppen-Codex für solche eine Situation? Sollte ich mich entschuldigen? Anbieten, den Schnuller abzuwaschen? Schimpfen? Lässig lächeln oder dämlich grinsen? Ich tat schließlich so, als wäre das gar nicht mein Sohn, spielte am Handy, und schob ihn rasch auf meine andere Seite, als die Frau nicht hinsah. Das ging ja gut los.
Inzwischen stand der andere Mann aufrecht in seinem Fankreis, wie der Hulk oder King Kong, und schwang zwei fröhlich quietschende Säuglinge in Fliegerposition auf seinen Unterarmen. Dadurch schwoll der Bizeps etwas an, so dass die Hemdärmel einrissen und pulsierende Adern hervortraten. Eine Mutter fiel in Ohnmacht.
Lächerlich. Dafür war mein Sohn schon in der Lage, selbstständig drauf los zu krabbeln und die Welt zu erforschen. Apropos mein Sohn. Wo… Ah, dort drüben. Sein Ziel galt den Socken einer Dame, die es sich an der gegenüberliegenden Wand bequem gemacht hatte, um von dort die Kletteraktionen ihres Kinds mitzufilmen. Sie war ebenso schüchtern wie ich. Denn unsere Blicke trafen sich unvermittelt und ratlos, als der Kleine an ihren Sockenzehen zupfte und seinen Mund öffnete, um eine Materialprobe zu entfernen. Nun kenne ich mich überhaupt nicht in der Krabbelgruppen-Socken-Etikette aus. Das Sinnvollste, was ich dieser Situation herausrufen konnte, war, in Rückblick auf die Erfahrungen in den eigenen vier Wänden »Vorsicht! Er isst Socken!« (Eine jener Situationen, für die einem bei der nächsten Morgendusche zwanzig elegantere Sprüche einfallen.)
Ich eilte hinterher in der Hoffnung, dass wir das ungewöhnliche Verhalten gegenseitig abnicken könnten »Ach so sind halt die Kleinen«. Eine Gelegenheit für die erste Kontaktaufnahme? Weit gefehlt, Socken scheinen ein sehr sensibles Thema zu sein. Die Dame kehrte mir sofort den Rücken zu, wahrscheinlich war sie ebenfalls Bloggerin und musste das Klettervideo noch schnell posten oder den unmöglichsten Vater in einer Krabbelgruppe verspotten.
Also übernahm mein Sohn höchstpersönlich den ersten Kommunikationsversuch – mit einem anderen Krabbelkind. Wie Pebbles und Bam Bam eierten beide gezielt aufeinander zu. Bevor sie sich gegenseitig die Augen ausstachen oder Welteroberungspläne aushecken konnten, eilten die andere Mutter und ich hinter unsere Sprösslinge – griff-bereit, jede Zuwiderhandlung gegen den Krabbel-Knigge im Keim zu ersticken.
Und so begann meine erste Krabbelgruppenkonversation.
»Ihr… Kind hat aber schon viele Zähne.« (Bewundernd, denn der 8BitPapa-Sohn war zu diesem Zeitpunkt noch zahnlos.)
»Ja. Hat sie. Hat sie schon seit sie vier Monate alt ist.«
»Oh.«
»Ja.«
»Ihre Kleine hat aber schon viele Haare.« (Bewundernd, denn der 8BitPapa-Sohn hatte die Frisur eines 80-jährigen Manns, der nicht Ted Danson ist.)
»Ja. Hat sie. Die kamen jetzt ganz plötzlich in den letzten zwei Monaten.«
»Ah, so so.«
»Ja ja.«
Und so endete meine erste Krabbelgruppenkonversation. Alles Wichtige war gesagt.
Zum Glück hatte ich mein Handy wieder griffbereit und musste schnell irgendwie geschäftig auf dem Display herumtouchen.
Der Adonispapa baute inzwischen den höchsten Turm, der mit dem Krabbelgruppenschaumstoffbausteininventar möglich war. Säuglinge von nah und fern kamen neugierig auf die Attraktion zugekrabbelt, während er mit den Krabbelmüttern Beikostrezepte, Tragetuchtipps und Lanolin-Alternativen austauschte. Er war gut, wirklich gut.
In einem letzten Versuch des sozialen Anbandelns änderte ich also die Strategie. Als das nächste Baby auf mich zukrabbelte, lächelte ich es an, statt es mit wedelnden Armen wegzujagen. So würde ich das Eis brechen und die Mutter würde sicher sagen »Sie können aber toll mit Kindern. Ist das da drüben Ihr Kleiner? Der ist ja brav.« Aber auch das war ein Fehler, denn bei dem Kind handelte es sich in Wahrheit um einen Botschafter der Krabbelgruppenleiterin. Es verteilte laminierte, an den Ecken angekaute Notizblätter mit Liedertexten. Und da waren sie wieder. Die Aram sam sams, die Tschutschutschus und die Tü-ri-tü-ri-lis. Nun wurde gesungen. Erschrocken entleerte mein Sohn seinen kompletten Darm in die Windel. Das war unsere Gelegenheit!
Jetzt war Eile angesagt. Tick tack tick tack tick tack. Durch den Babyliedersirenengesang benebelt, verlor ich wertvolle Sekunden beim Aufsammeln des 8BitBabys von der 20. Stufe des Klettergerüsts. Ticketacke ticketacke ticketacke. Ich schüttelte ihn und gab dem Babymädchen darunter ihre Socken und ihrer Mutter Ihr Handy zurück und wir verkrümelten uns schleunigst Richtung Ausgang. Ticketicketicketicketicke. Ein letzter Blick zurück; Adonis sang aus Leibeskräften mit und demonstrierte gleichzeitig die Top 10 der Rückbildungsübungen. Brrrrrrrrrrrrrrrrr.
Später fragte ich Frau 8BitPapa, was sie denn so toll an Krabbelgruppen fände und wie sie das mit den Gesprächsthemen und mit den Krabbelabenteuern unseres Kleinen managte. Sie blickte mich irritiert an. »Der Kleine spielt immer ganz friedlich mit den anderen, da ergeben sich die Gespräche doch von selbst. Hast du schon Jason kennengelernt? Das ist ein Netter.«
Da kam mir die zündende Idee. Ich werde meine eigene Krabbelgruppe gründen. Für Väter. Elternzeit-Väter mit einem Ausräumator im Haus. Echte Männer mit Papa-Blog und Vaterpass, die keine Ahnung haben von Beikost, Beckenböden und Brustwarzencremes. Dafür aber mit echter Musik und ein paar Sixpacks. Am besten verlegen wir das Ganze auch gleich nach draußen, in einen Biergarten. Und vielleicht könnten die Mütter in der Zwischenzeit auf die Kids aufpassen.
Euer 8BitPapa