Eigentlich war ja alles klar – dieser eine Buggy sollte es werden, robust, zusammenfaltbar und in einem erfrischenden Cranberryrot, damit man ihn später am Kindercaféeingang und auf dem Flughafen-Gepäckförderband schnell wiederfindet. Aber selber kaufen? Da wir seit der Geburt des Kleinen aber nicht mehr bungeejumpen, fallschirmspringen und House-runnen, suchen wir den verlorenen Thrill woanders: wir lassen uns den Buggy schenken.
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Schon als kleiner Bub lernte ich, was man hobbylosen Workaholic-Papas für gewöhnlich schenkt: »SOS« hieß es – Schlips, Oberhemd, Socken. Damit mir das auf keinen Fall passieren sollte, schwärmte ich vor anderen – seit ich denken kann – vor, wie toll ich doch Fernseher mit großen Bilddiagonalen fände, oder Kameraobjektive mit langen Brennweiten, oder Kameras, auf die Objektive mit langen Brennweite passten. Doch diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen träume ich von lebenslangen Windelabonnements, Multifunktionsmotorikspielzeugwürfeln und Einkaufsgutscheinen beim Babygroßmarkt. Und von Buggys mit luftbereiften Rädern, automatischer Faltverriegelung und FlashFold. Aber Vorsicht, manchmal werden Träume wahr.»Wir schenken uns doch nichts.«
»Ja, aber es ist doch dein Geburtstag. Vielleicht ‘was für den Kleinen?«
»Nun, er kommt bald in Größe 74. Ein paar Größe-74-Strampler…«
»Ne, ’was Größeres.«
»80 vielleicht? Ha ha. Versteht Ihr. Ha ha. Ein Witz.«
Ein kurzer Blick zu Frau 8BitPapa.
»Einen Buggy. Ja. Wir brauchen einen Buggy.«
Dieser Verhandlung folgte in Windeseile ein Produktdetaillink zu einem sehr spezifischen Buggymodell. Denn die Eltern- bzw. nun Großelterngeneration hat ganz eigene Kinderbuggywagen-Vorstellungen, vierzig Jahre alte Vorstellungen, die man besser gleich im Keim erstickt. Unser Kleiner ist nun vier Monate alt und lernt bald das Sitzen. Mit dem Einzug eines Luxus-Buggys hätte dann unser 50-€-Billigkinderwagen endlich ausgedient. Die Krux: Das durfte keine monatelange Entscheidungsfindung mehr sein, mit Baby muss soetwas zackiger gehen — darum wissen wir schon seit einem halben Jahr, welches Modell das beste für uns ist.
»Warum ausgerechnet dieser Buggy? Schaut mal, der hier hat auch eine schöne Farbe.«
Oh weh.
Buggy, die Idee
Schon während der Babybauch kugelrund wurde, durchspielten wir Szenarien, welche Fortbewegungsmittel wir denn für den Kleinen brauchten. Das Thema war schon deshalb brisant, weil uns gleich nach der Geburt vom Gesetzgeber eine Babyschale aufgezwungen wurde, was für eine Unverschämtheit. Nämlich, um das Neugeborene im Taxi von der Klinik nach Hause zu chauffieren. Ohne Babyschale keine Taxifahrt, eigentlich verständlich, wenn man sich an Crashtestdummyfilmchen erinnert. Und nach Busfahren (Busse können von Natur aus keine Auffahrunfälle verursachen und haben deshalb keine Gurte) oder einem 4‑km-Spaziergang stand uns nach der Geburt auch nicht der Sinn.
Aber wir hatten Glück. Als erfahrene Schwangerschaftsschmarotzer befand sich eine Plastiksitzbabyschale bereits in unserem Besitz. Wie ging es also weiter, sollten Mutter und Kind irgendwann mal ohne Taxi das Haus verlassen wollen?
Wir kamen zum Schluss, dass das wichtigste Gefährt der Buggy war mit einer zu erwarteten Sitzwertszeit von zweieinhalb bis drei Jahren. Im Gegensatz zum Kinderwagen, der nur einen Bruchteil dieser Zeit gebraucht würde – von T minus 0 bis der Nachwuchs sitzen kann, sechs Monate höchstens, bei einem Albert-Einstein-Baby, und davon gingen wir selbstbewusst aus, sogar nur vier oder fünf. Wir kauften also den billigsten Kinderwagen, um später beim Buggy mehr Knete für mehr Komfort investieren zu können.
Unermüdlich studierten wir die Angebote der Gebraucht-Kinderwagen-Händler, die wie ihre Kfz-Vorbilder vorbildlich aus den Läden herausschnellten, ein Geschäft witternd, sobald wir einem Gefährt zunahekamen. Wir waren verblüfft über Preise jenseits der 200 Euro, denn so manches Gefährt, das da mutig auf den Bürgersteigen feilgeboten wurde, hatte, deutlich sichtbar, die 200.000-km-Marke locker passiert.
»Das ist xyz-Markenprodukt, ist nur so günstig, weil Fußsack fehlt, links bremst nicht und hier oben ist abgewetzt. Superdeal!«
Und dann zeigte man uns all die Problemzonen als handle es sich um gutgemeinte Kaufentscheidungsargumente: heruntergenudelte speckige Bezüge, abgetragene Reifenprofile, klapprige Gestelle, abgegriffene und löchrige Schaumstoffgriffe, blauer Rauch aus dem Auspuff – kurz, alles, was abnutzbar sein konnte, war abgenutzt. Vielleicht bin ich da ein bisschen sensibel, aber etwas eklig war das schon.
Den billigsten Kinderwagen fanden wir also nicht etwa beim Kinder-Second-Hand-Laden unseres Misstrauens, sondern im Supermarkt: ein repariertes Rücklaufmodell für unter 50 Euro, quasi neu, aber auf jeden Fall ohne ekelige Abnutzungserscheinungen. In den Berliner Hippstervierteln dürften wir damit natürlich nicht auftauchen. Die Konstruktion glich einem Puppenwagen, die Gelenke und Räder quietschten wie kleine Nagetiere und das kopfschmerzenverursachende Billigplastik roch schlimmer als eine chinesische Babybadewannenfabrik. Die internen Werte waren nicht besser. So übertrug das Fahrwerk die feinsten Bodenbeschaffenheiten 1:1 auf die Ladefläche und die Lenkstange – Kopfsteinpflaster war eine Qual. Auch vom Gewicht spielte der Bolide in der obersten Liga mit, denn statt Aluminium verbaute man anscheinend recyceltes Gusseisen: Er steuerte sich so träge wie ein mit schwangeren Kühen beladener Schlepplaster.
Immerhin, er war neu und hatte keine Nahrungsmittel- und Fäkalienrückstände auf den Bezügen. Trotzdem zählten wir die Tage, bis wir das gute Stück loswerden konnten und schmachteten den Buggyzeiten entgegen. Deshalb wurde das Aufrechtsitztraining für den Nachwuchs ab sofort verstärkt. Zunächst zwar mit wenig Erfolg, aber wir hatten ja noch etwas Zeit.
Buggy, die Theorie
Wir waren bestens vorbereitet, hatten uns den idealen Buggy (Buggy A) herausgesucht, mit all jenen Features, die uns wichtig erschienen.
Zum Beispiel dem Schwerpunkt. Denn, wer hätte das gedacht, der Schwerpunkt ist wichtig. Machen Sie den Test. Besuchen Sie den nächsten Baby-Großmarkt und hängen Sie mal Ihre Bowlingkugeltasche an die Lenkstange. Jetzt verstehen Sie, warum Babys festgegurtet sind.
Ferner war uns die Luftbereifung wichtig, eine direkte Folge der Ausflugslektionen mit den Hartplastikräder des Kinderwagens. Wie relevant das im Alltag tatsächlich sein sollte, war fraglich, denn unsere verschiedenen Bereifungstests beschränkten sich auf die lustigen Probeböden in den Babyfachgeschäften; die die an Kneippsche Wassertretkurse erinnern.
Zu guter Letzt: die Portabilität, damit wir ihn beispielsweise bequem in den Urlaub mitnehmen konnten. Ideal wäre: Links das Baby im Arm, rechts ein Griff an eine raffinierte Stelle im Buggy und das Gefährt klappt wie ein Taschenmesser zusammen. Auf dieses Killerfeature verzichteten wir am Ende aber leider doch zugunsten einer anderen, noch wichtigeren Funktion von »Buggy B«: Der Vorne-so-wie-hinten-Ausblick für den Minifahrgast – der Sitz sollte sich sowohl nach vorne, dort wo die reizüberflutende Action ist, als auch nach hinten, zu den Eltern, ausrichten lassen. (Schon bald nach der Geburt unseres Sohnes stellten wir fest, dass er sehr schnell reizüberflutet. Ob im öffentlichen Nahverkehr, während des Sommerschlussverkaufs, oder auf dem Power Tower 2 auf dem Oktoberfest — der 8Bit-Junior scannt die Umgebung zwar zunächst nach interessanten Dingen, sucht aber schon nach kurzer Zeit den Blickkontakt und Schutz seiner Eltern.) Mit Buggy B war das möglich – vier Wochen vor der Kinderwagenentsorgung erfolgte also eine Anforderungsaktualisierung. Der Produktlink zu Buggy B machte die Runde. Sogar die Farbe gefiel uns, weil wir den Saft hier kistenweise wegtrinken: Cranberry. (Auf Nachfrage einiger Leser, das hier ist er: Joie Chrome DLX (Partnerlink), die Farbe wurde allerdings verändert.)
Buggy, die Praxis
Dass wir zum Buggy-Stichtag tatsächlich einen fahrbaren Untersatz parat haben würden, war von einer gehörigen Portion diplomatischen Geschicks bei den Eltern bzw. Großeltern abhängig.
»Das Blau sieht doch wunderbar aus.«
»Das ist aber ein anderes Modell als wir brauchen. Der hat vorne nur ein Rad, ein sog. Jogger, und ist damit nicht so stabil wie der andere.«
»Was heißt, nicht so stabil? Die verkaufen doch keinen instabilen Kinderwagen.«
»Buggy. Nein, nicht instabil. Aber nicht so stabil, wie einer mit vier Rädern. Wir wollen einen mit vier Rädern, der ist stabiler.«
»Wieso verkaufen die instabile Buggys? Wo doch die Farbe so wunderbar passt.«
»Eiigentlich ist uns die Farbe ja egal. Nur grau sollte er nicht sein.«
»Der hier wäre doch blau.«
»Und joggen wollen wir auch nicht mit dem Buggy. Hier, Buggy B ist genau der richtige. Den brauchen wir.«
»In rot?«
»Cranberry.«
Klappe zu, Affe tot, Buggy bestellt, Buggy geliefert? Denkste.
»Wir haben mal Euren Kinderwagen gegoogelt. Für den kann man doch einen Sitz dazukaufen!«
»Ja. Nein. Das ist nicht dasselbe. Der ganze Unterbau, das ist alles nicht so hochwertig beim Kinderwagen.«
»Wieso nicht hochwertig. Euer Buggy sieht für das teure Geld auch ganz schön klapprig aus.«
»Ja. Nein. Ist er nicht. Das sind alles äh leichte hochwertige Materialien, Aluminium und so, kein Gusseisen.«
»Aluminium, ist das überhaupt fest genug? Wir haben mal unsere Apothekerin gefragt, die hat einen Schwager, und dessen Freund hat diesen Kinderwagen.«
»Wir brauchen aber einen Buggy.«
»Und für Euren Kinderwagen gibt’s sogar eine Schale, eine Babyschale.«
»Die brauchen wir nicht.«
»Wir dachten zum Autofahren.«
»Ja, aber wir haben kein Auto. In Berlin braucht man kein Auto.«
»Ach ja. Gut. In rot?«
Wenige Verkaufsgespräche und Monate später haben wir den Buggy. Den cranberryfarbenen, Buggy B. Er steht allerdings noch im Wohnzimmer, denn es gibt noch ein kleines Problem: Der Kleine kann immer noch nicht sitzen. Also üben wir mit ihm. Immer im Buggy, wegen all der Mühe. Beim Duschen, beim Staubsaugen, beim Amazon-Kartons-zerkleinern, beim Bettenmachen, beim Pilates im Wohnzimmer und beim Kochen in der Küche, überall bekommt der Kleine seine fünf Minuten Sitzübung. Aber dann klappt er doch wieder wie ein Taschenmesser zusammen. Der Sohn, nicht der Buggy.
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»Aber es gibt ganz schicke Babyschalen, schaut mal.«
»Wir brauchen keine Babyschale. Und das ist keine Babyschale, das ist eine Babywippe. Für daheim.«