»Da ist der Arm.«
Gottseidank, ein Arm. Moment. Aber warum sagt er »der Arm«? Hat es etwa nur einen Arm? Ach du Sch… Ja, aber immerhin. Ich könnte mit einem Arm… Na ist wenigstens ein Arm.
»Ah, und da ist der zweite Arm. Und hier eine Gehirnhälfte. […]«
Mit dem Gedanken, ein behindertes Kind, einen gehandicapten Menschen auf die Welt zu bringen beschäftigen sich irgendwann alle Eltern, da bin ich als Papa-Blogger keine Ausnahme. Auf der einen Seite steht der Wunsch, ein autonomes Leben auf die Reise zu schicken, auf der anderen die Angst vor der niemals endenden Verantwortung. Schon vor der Geburt Bescheid zu wissen, wie es denn um die Gesundheit des Kleinen steht, ist daher für viele hilfreich. Nicht nur zur Klärung zur Entscheidung einer Abtreibung (was ich mir, nachdem ich das neue Leben per Ultraschall beobachten konnte, gar nicht vorstellen kann), sondern auch zur mentalen Vorbereitung, zum Zurechtstutzen der Erwartungen, oder, im besten Fall, zur Beruhigung, zum Aufatmen. Zwischen der 12. und 14. Schwangerschaftswoche gibt es deshalb eine pränataldiagnostische Untersuchung, deren Ergebnis eine Kette von Wahrscheinlichkeitszahlen ist, in der Art 1 zu 1747 für Trisomie 21. Auch akute Probleme lassen sich bei dieser Untersuchung aufdecken, um z. B. schon früh etwas gegen Herzfehler unternehmen zu können.
Dieser Untersuchungstermin ist im Vorfeld und während man daran teilnimmt, die Hölle. Alles entscheidende Sekunden, die in Zeitlupe ablaufen und, Schrödingers Katze gleich, darüber entscheiden, ob es dem Baby gut, normal, geht, oder eben nicht. Man hängt an den Lippen des Arztes, jedes einzelne Wort wird mehrstufig interpretiert.
»Und da ist der Magen.«
Der ist ja ganz schwarz. Warum ist der Magen schwarz? Ist mein Magen auch schwarz? Ist ein schwarzer Magen gut oder schlecht?
»Das heißt schon mal, dass es eine Speiseröhre hat und schlucken kann.«
Also gut. Ja? Speiseröhre. Schlucken. Ja, das ist gut.
(Schlucken-Update Februar 2018: Baby-Beikost, die erste
Schlucken-Update Juni 2018: Baby-Beikost, die zweite)
»Der Magen ist schwarz, weil es Fruchtwasser geschluckt hat. Ah, und da ist die Harnblase.«
Auch schwarz. Puh, das kann ja nur ein gutes Zeichen sein.
»Das ist auch schon Flüssigkeit drin. Also haben wir eine funktionierende Niere.«
EINE? Okay okay. Wenigstens. Mindestens. Das reicht ja eigentlich. Ich könnte mit einer Niere…
Höhepunkt der Untersuchung ist die Durchleuchtung der sog. Nackenfalte und die dabei gemessene Nackentransparenz. Das ist eine Flüssigkeitsansammlung hinten am Hals, die in dieser Zeit noch nicht abgeleitet werden kann, weil sich das Lymphsystem gerade erst ausbildet. Ärzte haben beobachtet: Je dicker diese Nackenfalte ist, desto wahrscheinlicher ist das Risiko für diverse Gendefekte. Da sind keine kausalen Effekte im Spiel, sondern kollaterale Ursachen, und darum ist es eine vage Diagnose, deshalb der Deal mit den Wahrscheinlichkeiten. Der entsprechende Wikipedia-Artikel (https://de.wikipedia.org/wiki/Nackentransparenz#Messwerte) zu dem Thema ist recht gut geschrieben. (Aber Vorsicht, man kann auch hier dem Wahnsinn verfallen, z. B. bei der Passage über die Kompetenz des durchführenden Arztes und die Interpretationsfähigkeit der Beobachtungen.)
»So, das sind 2 mm.«
2 mm! »Gottseidank, also weniger als 3?!« 2 mm, 2 mm…
»Das stimmt schon. Aber die 3 mm darf man nicht als Schwellenwert sehen, sondern als eine von vielen Variablen, aus denen die Wahrscheinlichkeit errechnet wird. Zum Beispiel auch das Alter der Mutter, ob man raucht, wie man sich ernährt […]«
2 mm, was für ein Glück, 2mm, 2mm.
Wir haben Glück. Mit einer Nackenfalte von 2 mm und guten Blutwerten der Mutter rutschen wir aus der Gruppe des Hochrisikos heraus. Ein Aufatmen. Alles im Normbereich. Und die Bestätigung, dass der Termin, ab einem bestimmten Alter der Mutter übrigens eine von Krankkassen gezahlte Leistung, für uns sinnvoll war. Die Worst-Case-Vorstellung bleibt aber als jederzeit abrufbare Erinnerung. Zum Beispiel während des Gesprächs mit entfernten Bekannten, bei deren pränatalen Untersuchen eine Lebensdauer des Neugeborenen von einem Jahr prognostiziert wurde. Bitte ein Mal Hölle und zurück. Bei solch einer Diagnose folgen dann weitere Untersuchungen, bei denen der Arzt mindestens eine langen Horrorspritze durch die Bauchdecke der Mutter jagt, um etwas Fruchtwasser für eine detailliertere Analyse zu entnehmen. Allein beim Gedanken daran bekomme ich weiche Knie. – Das Kind der Bekannten ist übrigens mittlerweile zwei Jahre alt. Alles gut, hatte der nächste Untersuchungslevel dann ergeben.
»Das heißt, Sie sind jetzt nicht mehr in der Hochrisikogruppe. Aber auch nicht in der Niedrigrisikogruppe. Es gibt drei Gruppen. Wir schicken Ihnen die abschließende Diagnose dann per Post. Sollte am Montag ankommen.«
Kam natürlich erst am Donnerstag, als unsere Nerven wieder blank lagen.
Was es mit Risikogruppen auf sich hatte, durfen wir dann einige Monate später doch noch genauer kennenlernen. Die gibt es nämlich nicht nur für Geburtsdefekte, sondern auch für Schwangerschaften und Geburten: Schluss mit lustig! Jetzt wird geboren
Euer Papa-Blogger 8BitPapa