Zwei Jahre neuer Roommate – Behalten, umtauschen, zurückgeben?
Nichts da. Denn wir stellen schon jetzt fest, dass wir ein Kind mit außergewöhnlicher Persönlichkeit großziehen, das nicht nur Spaß macht, sondern sich auch unterstützend in den Haushaltsalltag integriert mit Blick in die Zukunft – das will ich nicht mehr missen. So ist 8BitBaby V2 schon in der Lage, Müll zu trennen, oder Geschirr zu sammeln, das wir vom Wohnzimmer auf seine Reise schicken, ohne aufstehen zu müssen.
»Stell diesen Teller in die Spülmaschine.
In der Küche.
In die Küche.
Kü! che!
Nein, nicht in den Biomüll. Nein, auch nicht in den Plastik… in die Spül… Nein, nicht draufsteigen!!!«
Dieses Beispiel funktionierte einigermaßen fast hervorragend, so lange die Mission interessant genug war und das Missions-Briefing nicht versehentlich in eine Frage gepackt wurde. Denn Fragen, hier zeigte sich die charakterliche Stärke, beantwortete das Kind auf den Tag genau nach seinem zweiten Geburtstag grundsätzlich und kategorisch mit »Nein«, so wie wir es ihm im Dialog gezeigt haben. Sicherlich war kein anderes Kind auf diesem Planeten so selbstbewusst und entschlossen bei Ablehnungen dieser Art. Aha, ein Revoluzzer! Und damit vielleicht genau das, was unsere Gesellschaft heute brauchte. Wir machten ein Häkchen in der Liste, gleich hinter »Weltretter:«. Ich holte gleich darauf das Bügeleisen heraus, um die vorbereiteten glitzernden »Be like 8BitBaby«-Logos auf alle Bodys zu brennen.
Ich hole ein bisschen aus: Wir hatten neulich ferngesehen. Das sind die Videobilder, die erscheinen, bevor wir die richtigen Knöpfe für normale/moderne Film- und Serienunterhaltung gedrückt haben. Und da begegnete uns ein bekanntes Gesicht: Tim Mälzer. Den kenne ich ungefähr seit der Jahrtausendwende als er eines der ersten Kochprogramme im 4:3‑Format ausstrahlte, dessen Köche nicht bayerisch und/oder dick waren und/oder sonntags im Fernsehgarten standen. (Mälzer ist auch schuld, dass ich scharfe Messer wie dieses liebe (Affiliate). Und eine wirklich scharfe Klinge änderte meine Beziehung zu Zutaten und zum Kochen und sogar zum Essen. Zuvor schnitt ich Tomaten und Karotten mit dem Buttermesser!)
Mälzer adressierte seine Liebste und Produktionschefin-vor-Kamera immer mit »Halts Maul du alte Zippe.« Frauen mochten das damals so. Und das änderte sich erst, als Fernseher breiter wurden, 16:9, und ihnen und uns damit die Scheuklappen abfielen und die Gesellschaft sich um Riesenschritte weiterentwickelte. Ja? Denkste. Denn was der Hamburger Kochende da nun schon wieder 2019 rauf- und runterfluchte, passte immer noch in keinen Knigge. Zu allem Überfluss droschen zwischen den Schimpfeskapaden in regelmäßigen Abständen sich rapide wiederholende Werbesegmente auf uns ein, wie früher. (Dabei bezahlten wir doch irgendeine Fernsehgebühr? Waren es nicht sogar zwei?)
Die Werbeprodukte und Werbeschauspieler, Werberegisseure und Werbeproducer waren ebenfalls dieselben, wie vor zwanzig, dreißig Jahren. Mit Tiefziehplastik und in vergoldete Krokodilhaut verpackte Fertigpizza und Kühlregal-Snacks (während einer KOCH-Show!), Autos für den personalisierten Nahverkehr (da arbeiten wir gerade dagegen), dieselbe Margarine und überraschend ungestresste Mütter (die Väter waren immer Joggen), das selbe Grinsen, Lachen und Herumhüpfen und Füchse, die schlecht verzinste Sparverträge verschacherten. War die Zeit um uns herum stehengeblieben? Lief gleich das HB-Männchen über die Mattscheibe? Irgendwie schien Werbung wie eine Zeitkapsel, die jemand vergessen hatte, zu vergraben.
Da fand ich gut, dass in unserem Sohn ein wacher Geist und Widerspenstiger heranwuchs. Wir mussten nun in den nächsten Jahren seine Energie und Proteste so kanalisieren, dass er sie lieber in der Kita und auf Demos auslebte anstatt uns mit gelangweilten »Nein« zu allem zu drangsalieren. Brauchte er ja auch gar nicht mehr. Hier gab schon ewig keine TK-Pizza mehr, bekomme ich Sodbrennen von. Prima Wasser kommt aus dem Hahn. Einweg-Behälter sind tabu, und viele Milliarden anderer Dinge, die man schon im Kleinen verbessern kann, waren unter Dach und Fach. Damit erledigten wir mit Weltretten und Kinderziehen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Und das sollte unser Plan werden fürs kommende Jahr, das Anglizismusbesserwisser als die »terrible Twos« bezeichnen: Wir müssten ihm weiter und weiter erklären wie der Hase lief. Die Darstellung kausaler Zusammenhänge konnte freilich zur Herausforderung werden.
»N Stück Banane?«
»Nein.«
»Ok.«
Weint bitterlich, stampft mit den Füßen, rammt Kopf gegen Tischkante, wirft sich auf den Boden und trommelt mit den Fäusten.
»He he, was ist los?«
»Will Banaaaaane!«
Und wie war die 2‑Jahres-Party?
Ja, witzig. Welche Party? Wie hoch war wohl die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind genau zu seinem Geburtstag die Hand‑, Mund‑, Fuß‑, Popo‑, Backen‑, ach-eigentlich-überall-Pickel-und-Eiter-Seuche bekommt? Am selben Tag fand auch das Kita-Sommerfest statt und wir hatten uns im Vorfeld so richtig reingehangen, um seine ersten beiden sozialen Party-Events erinnerungswürdig mitzugestalten. Sehen die Bananen nicht klasse aus? Selbstgemacht!
Wir lernten: Lohnt sich nicht, Risiko zu hoch. Nächstes Jahr, wenn er drei wird, bricht bei ihm sicher die Cholera oder Milzbrand aus. Wir kaufen am Tag vorher einfach ein paar Bananen und rühren einen Schokopudding zum Dippen an. He, was für eine verdammt gute Idee! Das wäre gleichzeitig eine Aktivität für die Kids! Jetzt noch eine Tiefziehverpackung drumherum und ein buntes Logo drauf, einen coolen Namen wählen – »Schokibanani« oder so – und auffällig im Kühlregal platzieren. Her mit dem Telefon: 0800-Jacht-bestellen.
Familienfeiern fielen ebenso flach, zu ansteckend. Zu anstrengend sowieso. Nur gut, dass das Kind gar nicht wusste, was ein Zwei-Jahre-Geburtstag war. Irgendwann in ferner Zukunft hätte es sicher ein großes Drama gegeben. Aber für jetzt kuschelten wir uns einfach zusammen, tauschten Tröpfcheninfektionen aus und hofften dass der Gott der sanften Kinderzuckerkügelchen und die Göttin der Hardcore-Erwachsenen-Anästhetika das schon irgendwie hinbekamen.
Was ist nach all der Zeit mit den vielen vielen Spucktüchern passiert?
Erinnern Sie sich an den goldensten Babytipp aller Zeiten, mit dem dieses Blog bekannter wurde? (Zehn Dinge, die wir im ersten Monat wirklich brauchten) Spucktücher!! (Zehn Dinge, die wir im zweiten Monat wirklich brauchten) Sie waren Retter in der Not für aus allen Körperöffnungen fließende Substanzen, bis zuletzt für nicht hochgezogenen Rotz, weil das Kind einfach das Konzept nicht begreifen wollte. (Wir zählen Hochziehen mittlerweile zu den wichtigsten Hygienefertigkeiten und sehen täglich drei Stunden hartes Hochziehtraining vor. Wahrscheinlich muss es nur mal Klick machen! Momentan will er mit dem Geräusch anscheinend nur Ratten verjagen.) Klangheimlich brauchten wir sie nicht mehr und nun stapelten sie sich an der einen oder anderen Stelle in der Wohnung wie leere Batterien, alte Schlüssel, Schals, Handschuhe oder verbrauchte Gewürzdosen.
Was tun mit diesen tausendfach verrotzten Lumpen, die Dinge aufgesogen haben, die Biologen nur mit Strahlschutzhandschuhen in einem Isolierraum ansehen würden?
Aber klar! Auf Mamikreisel anbieten.
»Verkaufen 2.500 Spucktücher verschiedener Farben und Größen, teilweise mit Mustern und neutral. Garantiert bei 4.000 Grad im Fegefeuer gewaschen, bevor wir sie verschicken.«
Würde ich nicht kaufen. Dafür bin ich nicht Revoluzzer genug. Aber irgendwann müssen wir das vielleicht? Waren die eigentlich biologisch abbaubar? Darauf hatte ich gar nicht geachtet. Mir war nur wichtig, dass sie sich nach dem Waschen nicht wie eine Raupe zusammenziehen.
Lessons learned für den nächsten Geburstagstag?
Und so steuern wir zielsicher auf die Nummer 3 zu. Das wird ein ganz besonderer Milestone. Denn es ist der Moment, wo Kleinkinder kindervolljährig werden. Schlagartig verbreitert sich ihre Speiseröhre, so dass sie nicht mehr an kleinen Teilen ersticken können. Und von einem Tag auf den anderen vergrößert sich die Palette kaufbaren Spielzeugs um 123456789%!! So wie zur Wende.
Der Schokobananenkuchen mit der Zahl in der Mitte wird übrigens zu Tradition. Wenn es nach Frau 8BitPapa geht, denn sie schreibt sich das gerade trotz aller genderfizierenden Leitmotive (Frau • Kuchen • Backen) auf die Fahne. Sie ist angefixt auf Malen-nach-Zahlen-Spritztütenmalen, vielleicht ist ihre wahre Berufung Spritztütenschreiber in einer großen Supermarktkette, oder gibt’s die nur in Amerika? Fand ich gut, das war auch ganz schön schlau. Ab 30 Kerzen wird’s nämlich unübersichtlich und mühsam auf dem Kuchen und das Geburtstagskind hat es immer schwieriger, sich seinen Wunsch zu erpusten.
Wichtig war aber vor allem, dass wir nächstes Jahr keine Seuche haben würden, ich vielleicht sogar keine Sonnenallergie mehr, und wir könnten uns alle gemeinsam im Park nebenan auf der Wiese auf der Decke ausbreiten. Dann würden da die Geschenke liegen und die leckeren Kuchen und Bananen. Wir würden den Insektenwortschatz des Kleinen erweitern und er bekäme 5 Karmapunkte pro nicht zerdrückter Ameise. Mit 3 würde er auch langsam begreifen, um was es ging. Er würde lernen, was eine alte Zippe war, und wir konnten anfangen, spannende Geschichten zu erzählen, die er endlich im Kontext verstand, über Fernsehköche, Braunsche Röhren, verrückte Videoclips, in denen Konsumgüter präsentiert wurden, Margarine, Flughäfen außerhalb von Großstädten und wie die Briten mal vorhatten, die EU zu verlassen.
»Ach sieh mal, deine ganzen Maulundklauenseuchenpickeln sind ja schon weg! Freust du dich schon morgen auf die Kita?«
»Nein.«
»Wir müssen jetzt entscheiden, von unserem Zwei-Jahre-Rückgaberecht Gebrauch zu machen oder nicht.«
»Nein.«
»Aber wir haben dich viel zu lieb. Alles Gute zum Geburtstag.«
»Papa Buch lesen?«
❤️
Euer 8BitPapa