Was sollte es mich kümmern, dass ein Großteil aller Vatermutterfamilien leben wie im letzten Jahrhundert? Ü. ber. haupt. nichts. Die Mutter erledigt doch gerne alles, was daheim anfällt, kocht, wäscht, nimmt Arzt‑, Krankenhaus‑, Geburtstags- und Beerdigungstermine wahr, putzt die Wohnung, füttert das Kind, wickelt das Kind, erzieht das Kind, schmeißt dabei den Haushalt und plant mit bunten Stiften im Familienkalender, während sie sich nebenher entspannt die letzten Folgen von Barbara Salesch reinzieht. Ein paar Mütter sind dabei so gut, dass sie hier und da einen Cappuccino miteinbauen, einen Selfie fotografieren und ihre Heldinnenbilder auf Instagram anderen Folgern zeigen. Der Vater dagegen geht mit Überstunden arbeiten, haut mit seinen Kumpels danach ein paar Hopfenkaltschorlen wech oder bastelt an seinem Boliden. Das Konzept ist so gut, dass es seit 50.000 Jahren ausgezeichnet funktioniert.
Doch dann kamen die 80er.
Die haben immerhin bewirkt, dass man 40 Jahre später gelegentlich über Gehältergleichstellung oder Frauen in Führungspositionen redet. Eine haben (hatten) wir schon, die Bundeskanzlerin, und damit waren die meisten erst mal zufrieden.
Doch das Thema Emanzipation bringt auch heute noch ein Problem mit sich, besonders bei den traditionell orientierten Familien: Selbst wenn die Eltern einigermaßen zufrieden scheinen, es ist sauunfair gegenüber der nächsten Generation. Gegenüber der Kinder, die denken, dass es »normal« sein müsse, was sie da vorgelebt bekommen. Besonders gegenüber der Mädchen, die, Studien zufolge, heute (2019!) immer noch benachteilt erzogen werden und deren Träume, eines Tages Müllmann, Profifußballer oder Automechaniker zu sein, schon mit zwei Jahren im Keim erstickt werden. »Du bist zu rosa dafür.« Und könnte nicht auch für Jungs die Welt offener sein? Endlich Kleidung mit glitzernden Farben und Fantasy-Tieren tragen, endlich auch außerhalb der Sims mit Puppen spielen, endlich weinen, wenn’s wehtut, und die vielen kulinarischen Möglichkeiten am Herd zu Hause entdecken, und das ohne gleich Profikoch werden zu müssen.
Was können wir also tun, damit Mädchen und Jungs glücklich werden und nach dem Uniabschluss ihre Doktorhüte in die Luft werfen oder eben einen Haushalt mit vier Kindern führen?
Dazu ist ein strenger Nikolaus-Blick auf die Aufgabenverteilung zwischen Mutter und Vater notwendig. Und irgendwo zwischen geschlechterspezifischen Stärken und Schwächen und kulturell anerzogenen Verhaltensweisen ist das gar nicht so einfach. Willkommen bei der »Mental Load«, der mentalen Last, dem Projektmanagement fürs Zuhause und die Kinder, sowohl in der Planung als auch der operativen Ausführung.
»Wir haben keine Windeln mehr. Warst du nicht gestern einkaufen?«
»Hättste mal was gesagt.«
»Das siehst du doch. Da — Stapel leer. Und hier — keine volle Packung da.«
»Hätteste das doch in unsere Einkaufs-App eingetragen.«
»Habe ich.«
»Oh. Mist. Ich habe vergessen, reinzugucken.«
Wer darüber schreibt muss das ja perfekt vorleben? Denkste, so einfach war das bei uns nicht, bis wir uns des Themas bewusst geworden sind. Denn das Problem manifestiert sich schleichend und fängt bei geschlechterspezifischen Aktivitätenverteilungen an. Frauen sind nun mal oft besser beim Aufrechterhalten sozialer Kontakte und gleichzeitiger Berücksichtigung vieler, zum Teil auch entfernter Aspekte eines bestimmten Themas. Und Männer sind besser, isoliert mit aufgesetzten Scheuklappen ein handwerkliches Problem festzuschweißen und zusammenzu-gaffa-tapen. Die Frage ist nur, wohin wir uns von hier bewegen.
Bisher: Die Frau behält den Überblick und sammelt immer mehr und mehr Themen um sich, und arbeitet sie letztendlich selbst ab, während der Mann auf Zuruf spezielle Themen aus dem »Schatz bringst du mal den Müll runter«-To-do-Pool erledigt.
Klingt doch eigentlich nicht schlecht, jeder arbeitet in seinen Fachbereichen und es gibt eine Person, die den Hut aufhat? Das Problem ist, dass einerseits die Organisation und das Controlling zu intensiv Richtung Frau kippt, das ist sehr anstrengend. Micromanagement a la »Räum dein Zimmer auf« macht schließlich schon beim Nachwuchs keinen Spaß, geschweige denn beim Partner. Und andererseits, dass aus traditioneller Sicht einige Themen nicht untereinander aufgeteilt oder abwechselnd bearbeitet werden. Zeit für die Emanzipation 2.0! Denn zu Hause sofort den Bundesligafernseher einzuschalten und mitzudenken hat nichts mit X- und Y‑Chromosomen zu tun, sondern mit 50.000 Jahre altem Herrenhausdenken. Ist doch klar – wer den Mammut nach Hause bringt, sorgt für das Wichtigste: das Essen. Da darf muss man danach natürlich etwas Alkohol auf die Bisswunden kippen.
Doch seitdem hat sich einiges getan, allem voran: Die Mammuts sind ausgestorben. Deshalb können Frauen heutzutage gleichwertige Arbeit leisten wie die Mammutjäger von früher, und manche natürlich sogar besser. Männer können ja auch prima soziale Kontakte aufrechterhalten, einige Liter legale Drogen vorausgesetzt. Und Frauen können auch den Vergaser reinigen, wenn man sie lässt.
Überrascht?
Doch nicht wirklich. Denn wer diesen Text liest, weiß Bescheid. Wir sind moderne Internetmenschen, kommunizieren über ein halbes Dutzend digitale Kanäle miteinander und lesen die Abstracts von Studien, um zu wissen, dass wir mit unserer Umwelt aufpassen und unseren Kindern kein BPA-Plastikweichmacher zu essen geben sollten. Darum lesen wir Texte wie diesen, um uns in unserem Denk- und Handelsansatz zu bestätigen und gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Das nennt man heutzutage auch Circlejerk, denn in einer Gruppe macht das Schulterkloppen noch mehr Spaß.
- Ein Ende
- Die zweite Welle mit Kind und Kegel, Krebs und Corona
- Ricks Jakobsweg Berlin ↦ Leipzig (3/3)
Die Krux der Situation: Jeder Vorleber einer moderneren Kultur hat die Aufgabe, anderen seine bessere Meinung aufzudrängen. Dabei macht man sich Feinde (Bundesligagucker) und Freunde (Frauen, die eigentlich wollen, aber nicht können). Je nach Thema kann aber doch etwas Sinnvolles entstehen, wenn man es nur oft genug versucht. Und die Gleichberechtigung von Frauen ist nun wirklich ein Thema, das seit den 80ern eigentlich ins Archiv des letzten Jahrtausends gehört.
»Wechselst du seine Stinkewindel?«
»Aber ich habe schon heute Morgen…«
»Ok. Schnick schnack schnuck.«
»Schere.«
»Spock. Juhu!«
Hier ist die Message, die an jene raus muss, die diese tollen Texte von tollen Papa-Bloggern nicht lesen. Jene Leute, bei denen man schlaue Themen im Schützenverein oder während eines zufälligen Gesprächs in der U‑Bahn loswerden kann. (Unsinn, Männer reden nicht mit Fremden in U‑Bahnen, ich meine »während eines flüchtigen Gesprächs während der fortgeschrittenen Firmenweihnachtsfeier«):
Macht es anders mit der »Mental Load«. Die Veränderung muss, meiner Meinung nach, von Männern ausgehen, die sich im traditionellen Rollenmodell festgelebt haben.
- Die zwei Plazebomonate Papa-Elternzeit sind Schnee von gestern und nicht genug, um damit im Squash-Verein anzugeben. Es lohnt sich wirklich, mehr Zeit für die Familie zu buchen.
- Und danach? Wenige Chefs in einer traditionellen Papa-arbeitet-Rollenverteilung werden einem Vater ein flexibleres Arbeitszeiten- und Arbeitslastmodell vorenthalten. Dafür sind wir alle schon alt genug und Chefs jung genug. Und wer will schon für eine Firma arbeiten, in der das tatsächlich zu hochgezogenen Augenbrauen führt?
- Lasst Frauen arbeiten. Wenn sie wollen.
- Macht diesen Mental-Load-Test (zum Ausdrucken https://equalcareday.de/mentalload-test.pdf), vergleicht die Werte und streitet euch eine halbe Stunde. Verteilt dann die Aufgaben neu. Nicht mit den Augen rollen!
- Habt Spaß mit den Kindern. Denn es macht Spaß mit den Kindern! Niemand auf dem Sterbebett hat jemals gesagt »Oh ich wünschte, ich hätte weniger Zeit mit meinen Kindern verbracht und lieber nochmal einen Vergaser durchgepustet.«
»Aber es ist doch so ermüdend und nervig.« Irgendwann kommt der Augenblick, wo auch das primitivste Spiel entspannend ist. Wenn man nämlich weiß, mit welcher Kissenkombination man es am Boden aushalten kann. Mein Favorit: Vorlesen. Aus einem bebilderten Lexikon für Erwachsene. Da kann ich so viel klugscheißern wie ich möchte, mein Sohn denkt, ich bin allwissend!
Der Lohn: Gleichberechtigung, weniger Streit, mehr Harmonie und Liebe, ein tolles Gefühl. Und vor allem: Ein gigantisches tolles Vorbild für unsere Kinder. Für sie wird Gleichberechtigung endlich normal werden können. Und damit können sie totale Geschlechterrollen-Freiheit erleben.
Unsinn, so schnell geht das nicht. Aber unsere Kindeskinder vielleicht.
Euer 8BitPapa
P. S. Die Spiegel-Bestseller-Autorin und in der Eltern-Blogger-Szene bekannte Patricia Cammarata, die auch als »dasnuf« bekannt ist, hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und einen ausführlichen Ratgeber veröffentlicht, den ich Euch ans Herz lege: